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Nach(t)kritik

Do, 02.06.2022
20.00 Uhr

Ein letzter Tanz

Veranstaltung: Sissi Perlinger: Worum es wirklich geht

Worum es wirklich geht, hat sie erst ganz am Ende verraten. Für ihre zweite und letzte Zugabe griff Sissi Perlinger noch einmal zur Gitarre und sang, nachdem sie sich bereits von ihrem Publikum und eigentlich auch von der deutschen Bühnenlandschaft verabschiedet hatte, ein Lied auf Englisch: „Join the green heart´s club“ - ein jazzig melodisches Stück über die vermutlich letzte Chance dieses ausgebeuteten, ausgequetschten, für Gier und Macht geopferten Planeten und darüber, dass die Menschen selber es mit ihrer Art und Weise, zu leben, in der Hand haben, ob der Planet und mit diesem die Menschheit noch eine Chance bekommt. Nach diesem Auftritt im bosco am Donnerstagabend wird Sissi Perlinger in Deutschland noch genau zweimal live zu erleben sein. Danach wird die auf keinen Nenner zu bringende Schauspielerin, Sängerin, Kabarettistin, Tänzerin, Lebens- und Verwandlungskünstlerin nach 37 Jahren Bühnenarbeit über die Grenzen gehen und anderswo das Glück suchen, gewiss auch finden - mit englischen Songs und Texten.

„Worum es wirklich geht“, ist der Titel ihres aktuellen und hierzulande vorerst letzten Programms. Es geht um viel darin: um die Suche nach dem Glück, um die Kunst des Lachens und den damit verbundenen Heilungskräften, um die Gefahren des Konsums und die damit verbundene Gefährdung der Umwelt und - last but never ever least - um Frauenpower und die Stärke der Weiblichkeit. So sei, heißt es in einer Nummer des Programms, allen Frauen schon die Farbe des Brautkleids eine Warnung: ganz in Weiß, so sehen der Kühlschrank, die Waschmaschine, der Toaster aus und noch viele andere Haushaltsgeräte - genau das suchen Männer in der Person ihrer Zukünftigen. Auch der Brauch, beim Vorüberfahren eines Brautpaars laut zu hupen, ist doch eine unüberhörbare Warnung vor dem, was auf die arme Braut zukommt. Und dann erst das Fixiertsein der gesamten Verwandtschaft auf den bald zu erwartenden Nachwuchs: „Kinder“, sagt Sissi Perlinger, „muss man wirklich wollen. Genau wie eine Komplett-Tätowierung im Gesicht - danach bekommt man auch nie wieder einen Job.“

Im Laufe des Programms schlüpft die Komödiantin in die verschiedensten Rollen. Mal ist sie die Freundin aus Berlin mit frecher Schnauze und Kiezkenntnis, mal die siebengscheite Nachbarin im Dirndl und bayerischem Mundwerk. Dieses schützt die Gscherte aber bestens davor, auf selbiges zu fallen. Ganz im Gegenteil: sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie über die Zustände auf dieser Welt nachdenkt, die dazu führen, dass „bei uns die armen Leut` zwar kein Essen, das noch gut ist, aus dem Müll klauben dürfen, aber stattdessen im Supermarkt miserable Lebensmittel aus Massenproduktion kaufen sollen“. Eigentlich, so überlegt die Dirndl-Nachbarin, müsste Billigfleisch genauso mit Horrorbildern versehen werden wie Tabakprodukte: „Die Wurscht ist die Zigarettn der Zukunft!“

Gegen all das Elend der Welt hilft nur eines: Lachen. Lachen, bis das Zwerchfell schmerzt, der ganze Körper bebt und alles, was die Mundwinkel nach unten ziehen könnte, abgeschüttelt wird. Mit hinreissenden Songs und einfach umwerfenden Schütteltanznummern gibt Sissi Perlinger vollen Einsatz für das pure Glück ihres Publikums, das ihr diese körperintensive Fürsorge mit tosendem Applaus und am Ende mit Standing Ovations dankt. Sogar für eine schlangenmenschenähnliche Yoga-Session ist sich diese Bühnenkünstlerin nicht zu schade und beweist, dass eine durch Konzentration und Achtung des eigenen Ich erlangte Selbstbeherrschung noch die sinnvollste aller Herrschaftsformen ist: „Der beste Tanz ist der Selbstakzep-Tanz.“

Alles Gute, liebe Sissi Perlinger, auf dem Weg in die Ferne, einmal mehr über alle Grenzen hinweg. Und ja: wir werden dabei sein, im „green heart´s club“.

Sabine Zaplin, 02.06.2022


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 02.06.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.