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Nach(t)kritik

Fr, 05.04.2024

Eine Geschichte der Welt in tausend Objekten

Veranstaltung: Museum auf Zeit: "Mausefallen für Dich - Zigarren für die Welt"

Vier Männer, die direkt in die Kamera schauen, in selbstbewusster Pose, gelassen, lässig. In ihrer Mitte, wie eine gute Freundin, steht eine Melkmaschine. Das Foto ist eines von vielen, das in der Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“ das Kulturhaus Bosco zum Museum auf Zeit werden lässt. Im Nachzeichnen von Arbeits- und Industrialisierungsgeschichte Gautings leistet die Ausstellung etwas Größeres. In den Exponaten spiegelt sich die Geschichte der Moderne ohne Aussparung ihrer Katastrophen wider.

Dass das so funktioniert, liegt an der intelligenten Gestaltung. Unter der Gesamtleitung von Hans-Georg Krause, der das Haus selbstverständlich bis in den letzten Winkel kennt, wird ein Rundgang ermöglicht, der vom Obergeschoss über den Veranstaltungssaal, die Bühne und die Garderoben zurück ins Erdgeschoss führt. Auf dem Weg durchs Bosco machen die Besucherinnen und Besucher eine Reise durch die Zeit, anschaulich durch die bewundernswert vielfältige Sammlung von Hermann Geiger, die den Grundstock des Temporär-Museums bildet, instruktiv durch die sauber recherchierten Texte.

So erfährt man etwa von den Mühlen, die schon im dreizehnten Jahrhundert die Kraft der Würm nutzten, Sägemühlen etwa oder Getreidemühlen. Über die Pulvermühle am Schlossberg heißt es lapidar: „1888 flog die Pulvermühle ein letztes Mal in die Luft.“ Immer wieder wird die Vermittlung der Industriegeschichte aufgelockert durch Fotografien oder kuriose Objekte wie das Würm-Mobil des Künstlers George Frédéric, das in artistischer Verdichtung verschiedene Arten, Wasserkraft zu nutzen, in einem Gegenstand kombiniert.

Da bis Ende des 19. Jahrhunderts die Hälfte der Anwesen in Gauting und Stockdorf mit der Landwirtschaft in Verbindung standen, hat auch landwirtschaftliches Gerät, zumal solches der Maschinenfabrikation Gauting (Mafaga), seinen Platz. Besondere Anschaulichkeit erlangt die Ausstellung durch zahlreiche Geruchsstationen. Wer bislang nicht wusste, wie Landwirtschaft riecht, kann es hier erfahren.

Ebenfalls erfahren kann man vom Alfawerk Gauting, das vor allem Hebetechnik für die Landwirtschaft herstellte, mit der Umstellung auf Kriegswirtschaft im Zuge des Ersten Weltkriegs aber umdisponieren musste. „Dass man diese Umstellung auf die Rüstungsindustrie einmal dokumentieren kann, darauf sind wir stolz“, sagt Krause und deutet auf ein Foto, das Mitarbeiter des Alfawerks mit Kriegsmaterial zeigt. Ähnliches prägte auch die Firma Webasto. Den Anfang machten Mausefallen und weitere Haushaltsgegenstände, später kamen Fahrradteile und Autoheizungen dazu. Während des Zweiten Weltkriegs mussten Gasmaskenfilter und Radarantennen produziert werden. In der Konkretheit des Objekts und der Überschaubarkeit der Ortsgeschichte wird die Weltgeschichte sichtbar.

Dabei vergisst die Ausstellung die Akteure dieser Weltgeschichte nicht. Von denjenigen, die sich in Arbeitervereinen organisierten bis zu den Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern, die in Gauting vom NS-Regime ausgebeutet wurden. Auch Individuen haben ihren Auftritt, so etwa die Zeitzeugen, deren Interviews zum Beispiel zur Arbeit in der Gautinger Papierfabrik als Videos zu sehen sind. So aber auch der Bahnhofsvorsteher Singer, dessen Wohnzimmer auf der Bosco-Bühne betreten werden kann und das als pars pro toto für den wirtschaftlichen Aufschwung Gautings steht, der mit dem Bau der Bahnverbindung nach München in Gang kam.

„Die Geschichte Gautings wurde vor allem von den Bajuwaren her erzählt oder dann später von den schönen Häusern, der Villenkolonie“, sagt Hans-Georg Krause. Jetzt sei es an der Zeit gewesen, auch einmal die Industriegeschichte zu beleuchten. Das Ergebnis ist inspirierend und ein Grund, zu bedauern, dass dieses Museum nur ein „Museum auf Zeit“ ist. Zumal die Ausstellung mit einer guten Frage endet: Und wie wird die Zukunft der Arbeit? Eine abschließende Antwort ist zwar auch nach Besuch der Ausstellung nicht möglich, doch vor einem so farbenreich gemalten historischen Hintergrund lässt sich klarer darüber nachdenken.

Paul Schäufele, 04.04.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 05.04.2024 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.