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Nach(t)kritik

Mi, 26.04.2023

Erwischt!

Veranstaltung: Sonja Herpich: Zimmer Nr. 2

Der Mann steht auf einer Bierbank, neben sich einen weißen Hund. Weiss ist auch der Schnee, der auf den Berggipfeln hinter ihm liegt. Der Mann, der einen alten Filzhut trägt und einen Rucksack über einer Schulter hängen hat, schaut neugierig und ein wenig überrascht den Betrachter an, so als habe er gerade ein etwas merkwürdiges Angebot bekommen. Oder als habe er feststellen müssen, dass die eigentlich als geschlossen geltende Hütte urplötzlich doch öffnet. Oder als sei jemand vor ihm aufgetaucht, den er am Ende der Welt vermutete.

Es gebe zu jedem einzelnen Bild der Ausstellung „Zimmer Nr. 2“ eine Geschichte, verrät die Fotografin Sonja Herpich bei der Eröffnung ihrer Fotoausstellung in der bar rosso. „Zimmer Nr. 2“, heißt die Ausstellung - der Titel spielt auf jenes Zimmer im Hotel von Sonja Herpichs Mutter an, das der Familie einen Rückzugsort bot. Und so sind die Momente, welche in der Ausstellung zu sehen sind, so etwas wie das unerwartete Öffnen einer Tür, hinter der sich die Portraitierten eigentlich privat wähnten, unentdeckt, in einer als beinahe schon intim empfundenen Umgebung. Der Mann auf der Bierbank beispielsweise, es ist der Schauspieler Helmfried von Lüttichau, ist in der bayerischen Landschaft tatsächlich auch privat zuhause und unterwegs. Auf anderen Bildern sind weitere Prominente zu sehen, Schauspieler, Schriftsteller, Künstler. Der Kinderbuchkünstler Ali Mitgutsch sitzt in einem Raum voller Bücher. Der Regisseur Franz Xaver Bogner steht vor einem Haus mit dem fast obszön großen Wort „Gaststätte“ an der Fassade. Der Schriftsteller Martin Suter steht vor einer vollkommen grün bewachsenen Hausfassade, die Schauspieler Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec sind mal einzeln portraitiert, mal gemeinsam. Und die Musiker der Oberammergauer Band Kofelgschroa sitzen zusammen zwischen ihren Instrumenten. Alle Portraitierten teilen diesen besonderen Moment des Überraschtwordernseins an einem Rückzugsort - und dieser Rückzugsort trägt stets die Insignien bayerischer Räume, seien es Innen- oder Außenräume. Gerade durch diesen Moment, der in jedes einzelne Gesicht der Fotografierten geschrieben ist, gewinnen die Bilder eine ganz besondere Kraft, die sich unmittelbar auf die Betrachterin, den Betrachter überträgt.

Einer der Portraitierten ist zur Eröffnung mit seinem Instrument gekommen: Maxi Pongratz, Sänger und Akkordeonist von Kofelgschroa, der seit der Bandpause solo unterwegs ist. Ihm zur Seite steht am Abend der Vernissage noch Simon Ackermann am Kontrabass -  Ackermann spielt sonst bei Zwirbeldirn den Bass. Zusammen schaffen die beiden Musiker den immer leicht melancholischen, noch im fröhlichsten Dur das Moll suchenden Sound zum bayerischen Habitat der in der Ausstellung Portraitierten. „Meine Ängste“ heißt einer der Titel, es ist das Titelstück von Maxi Pongratz` Solo-Album, und er spielt darin wunderbar virtuos mit dem Gleichklang von „Engste“ Vertraute und den „Ängsten“, die ebenfalls so einengend sein können, dass nur noch die blanke Solo-Angst übrigbleibt. Oder das Lied von der schwindenden Nacht, die zu müde ist vom Nachtsein und dem Übergang Platz macht, in dem die einen heimkehren und die anderen lossziehen. Da werden Lieder zu Geschichten, Klänge zu Subtext, und in den Gesichtern der Zuhörenden steht all das geschrieben, vor allem aber der Augenblick des Überraschtwordenseins, des Berührtwordenseins von einer Liedzeile, einem Klang.

 

Die Ausstellung „Zimmer Nr. 2“ von Sonja Herpich ist noch bis zum 21. Juli im bosco zu sehen. Am Donnerstag, 25.05. führt Sonja Herpich um 17 Uhr persönlich durch die Ausstellung und wird bei dieser Gelegenheit einige Geschichten, die hinter den Bildern stecken, erzählen. Der Eintritt ist frei, um vorherige Anmeldung im Theaterbüro wird gebeten.

Sabine Zaplin, 27.04.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 26.04.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.