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Nach(t)kritik

Mo, 18.01.2016
20.00 Uhr

Fauré Quartett: Seelengemälde

Veranstaltung: Fauré Quartett: Mozart, Fauré, Brahms
Dem bosco-Publikum erging es hier offenbar wie einst Clara Schumann. Der Brahms-Biograf Heinz Becker mutmaßte zumindest: „Sie mag gespürt haben, dass es sich bei diesem Werk um ein Seelengemälde handelt, das intimste biographische Züge trägt und das Ringen eines Einsamen in auswegloser Situation schildert.“ Dass der Schlussapplaus nach Brahmsens Entblößung im Klavierquartett c-Moll op. 60 lange auf sich warten ließ und nur zögerlich einsetzte, lag denn auch gewiss nicht etwa an einer schwachen Leistung der Musiker. Ganz im Gegenteil: Das Fauré Quartett schaffte es, so tief in die Brahmsschen Emotionen einzutauchen, dass sie unmittelbar präsent wurden. Welch ein rares Erlebnis, sich von der Musik so betroffen, ja vereinnahmt zu fühlen! Die emotionale Berg- und Talfahrt des Klavierquartetts hat es auch in sich. Ganze 20 Jahre und vier Anläufe hatte Brahms gebraucht, den Liebesschmerz soweit aushalten zu können, um dieses Werk schließlich zu vollenden. Es wird nicht selten gespielt, doch wer es einmal vom Fauré Quartett interpretiert gehört hat, versteht auf alle Fälle, weshalb sich Brahms in diesem Kontext als Goethes Werther sah. Das Ensemble blickte hier tief in die Seele des Komponisten. Und möglich war es nur, weil die vier großartigen Musiker es verstehen, nicht nur gemeinsam ein homogenes, dennoch wendiges und transparentes Gebilde zu formen, sondern auch in den solistischen Passagen eben die feinsten, empfindsamsten solistischen Einlagen hingebungsvoll zu zaubern.
Das größte Potential des Ensembles liegt aber zweifelsohne im gestalterischen Reichtum. Es kann in die empfindsamsten Rücknahmen versinken, die so zart, berührend und fragil sind, als könnten sie mit dem geringsten Lufthauch davonfliegen. Davon sollte sich das Publikum im ausverkauften bosco in der Zugabe mit Schumanns Andante cantabile aus op. 47 in berührendster Form einmal mehr überzeugen. Auf der anderen Seite kreierte das Fauré Quartett eine mächtige plastische, substanzvolle Fülle, die selbst einem ganzen Orchester eine würdige Größe verleihen würde. Und dies mit beeindruckender Leidenschaft und enormer Ausdruckskraft. Diese konnten wiederum auch einer unbeschwerten Musizierlust dienen, wie sie im energischen Mozart-Klavierquartett g-Moll KV 478 spielfreudig daherkam. Kaum zu glauben, dass der Komponist damit die Hörgewohnheiten und das musikalische Verständnis seiner Zeitgenossen überforderte, zauberte hier doch das Ensemble jedenfalls eine überaus sinnlich-heitere Musik, die durch die Gleichbehandlung der Instrumente im Grunde erst die Gattung des Klavierquartetts begründete.Das Fauré Quartett beherrscht nicht nur eine Fülle von musikalischen Charakteren. Es vermag auch, sie mit sorgfältiger und präziser Feinarbeit den inhaltlichen Aussagen entsprechend exakt abzustimmen und zu würzen. Vor allem aber entspringen all die Ausprägungen nicht der Spieltechnik selbst, als vielmehr aus den tief empfundenen Aussagen der Werke, die sich nur der geradezu perfekten Technik bedienen. So verwandelte sich etwa die blühende Klangzartheit schnell in fast schon impressionistische Szenarien, die sich in Faurés Klavierquartett c-Moll op. 15 bereits 1879 ankündigten. Nicht nur im Kopfsatz, sondern auch im Scherzo. Es war schon beeindruckend, mit welcher Sicherheit die Musiker des Quartetts hier stets ins Schwarze trafen. Zumal es auch recht mutige Interpretationen waren, vor allem wenn etwa bei Fauré das Adagio so gnadenlos konsequent in extrem getragenen Form ausgespielt wurde, dass es anfangs geradezu schmerzte. Und war die Schmerzgrenze überschritten, so offenbarte sich ein visionärer Wesenszug, ins wärmste Kolorit getaucht. Es mag Fauré nicht in jeder Hinsicht gelungen sein, den Gedanken einer französisch-nationalen Musik umzusetzen. Doch die Richtung war zweifelsohne die richtige, um die lange musikalische Tradition Frankreichs auf eine neue Grundlage zu stellen. Wird sonst öfters mal dem Schlusssatz des Fauré-Klavierquartetts Einförmigkeit nachgesagt, prägte das Ensemble im bosco eine Fülle an Intensivierungen, Verdichtungen und plastischen Formungen, die sich alles andere als einförmig zeigten. Ein großartiger Kammermusikabend!
Reinhard Palmer, 19.01.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mo, 18.01.2016 | © Copyright Werner Gruban