Nach(t)kritik
Fledermäuse und andere Überflieger
Veranstaltung: Café del Mundo: In Passion„Kleiner Vogel, friss nicht den Maismehlkuchen!“ So lautet ins Deutsche übersetzt die Kernzeile des südamerikanischen Liedes „Tico Tico no tuba“. Die beiden Gitarristen Jan Pascal und Alexander Kilian, seit 2007 als „Café del mundo“ gemeinsam unterwegs, haben ein Händchen für musikalisch verewigte Tiere: Auch die valencianische Fledermaus, immerhin Wappentier der Stadt Valencia, würdigten sie beim Gastspiel im Bosco mit einer Ballade. Und dazu erzählte Jan die Anekdote eines Stuttgarter Konzerts: Dort hatte er besagte Fledermaus anlässlich besagter Ballade als Vertilgerin lästiger Moskitos gerühmt – bis hinterher ein Fledermausexperte auf das Duo zu kam und auf Schwäbisch meinte: „Wisset se, die fresset koi Moschkidos...“ Ja, so ist das wohl mit der Weltmusik: Sie lässt sich zuweilen auch von Legenden inspirieren. Der Würzburger Pascal und der Bad Mergentheimer Kilian wurden auf jeden Fall beide von dem berühmten Flamenco-Gitarristen Rafael Cortés, also einer lebenden Legende, beeinflusst, um nicht zu sagen geformt - Spanische Schule mit südamerikanischen Ausflügen sozusagen. Im Bosco war nun zu erleben, welche Kraft die Dopplung zweier virtuoser Gitarren entfalten kann, die einander in der Rhythmus-Führung auch noch permanent abwechseln. Alexander Kilian ist in diesem Verbund derjenige mit der Vorliebe fürs Tremolieren, gerne bei rasendem Tempo und mit der Konzentration eines Blitzschachspielers – schon mit 15 Jahren gewann er seinen ersten großen Wettbewerb, und der Weiterentwicklung seines Könnens scheinen auch jetzt, mit 28, noch keine Grenzen gesetzt zu sein; Jan Pascal lernte den Gitarren-Derwisch Kilian einst bei einem Workshop kennen, als er ein Stück „besser als ich, der Workshop-Leiter“, spielte. Pascal fand so den idealen Saiten-Partner, mit dem er das Dialogische des gemeinsamen Spiels fast zur Perfektion führte. Ein Streifzug durch die verschiedenen Musiktraditionen, Stile und rhythmischen Besonderheiten von Cadiz bis Malaga bilden heute das Gerüst ihrer atemberaubenden Auftritte. Will man daran überhaupt etwas aussetzen, dann vielleicht die Überbetonung der äußeren, technischen Könnerschaft auf Kosten der inneren, leiseren Emotion (wie bei „Leon dormido“ so wunderbar) – aber die beiden Meister sind ja noch relativ jung und dürfen ruhig ihren „fingerturnerischen“ Spaß haben.
Zur Flamenco-Gitarre gesellten sich in Gauting die Flamenco-Tänzerin Azucena Rubio und der fast nur mit bloßen Händen arbeitende Percussionist Cesar Gamero: Rubio riss die Leute zu wahren Begeisterungsstürmen hin, indem sie das akustische Feuer von „Café del mundo“ im roten Samtkleid oder später in ornamentiertem Schwarz immer wieder auch choreografisch bereicherte, ganz in der Tradition der „Cafés cantantes“, wo zur Musi auch spontan getanzt wurde – und wenn Azucena gerade nicht im Stepp-Staccato knatternd den Bühnenboden bearbeitete, unterstützte sie klatschend die „guitareiros“ oder fächelte ihnen im Sitzen Luft zu. Vor allem bei den südamerikanisch angehauchten Seitensprüngen glänzte dann Gamero – bis hin zu einem Rap in spanischer Sprache, dessen Text man besser nicht übersetzen sollte. Dass „Café del mundo“ sich eben nicht mit der andalusischen Schiene zufrieden gibt (und damit der ständigen Gefahr eines „touristischen“ Klischees aussetzt), zeigte sich bei der wohl schnellsten „Libertango“-Interpretation der Neuzeit sowie der fulminanten Bearbeitung eines Violinstücks à la Sarasate für Gitarre. Und wenn sich der Schreiber dieser Zeilen nicht verhört hat, dann wurde gegen Ende sogar ein Jazz-Klassiker in die spanische Estremadura eingestreut. Hingerissenes Publikum, wund geklatschte Hände.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.