Direkt zum Inhalt

Nach(t)kritik

Mi, 14.12.2016

Fräulein Müller erzählt vom Spinnen

Veranstaltung: Theater Kunstdünger: Rumpelstilzchen - oder: Fräulein Müller spinnt

Eine Geschichte vom Können, vom Alleine-Können, Besser-Können und auch vom König. Fräulein Müller, ein freches junges altersloses Mädchen, hängt Wäsche von der Wäschehexe ab und möchte eigentlich viel lieber zaubern. Warum heißt das Ding schließlich Wäschehexe? Also zaubert Fräulein Müller, holt die ganz großen Tricks aus der Kiste, den Zylinder und den Hasen aus dem Zylinder und schließlich ein ganzes Märchen: „Rumpelstilzchen“, das in der Version vom Theater Kunstdünger „Fräulein Müller spinnt“ heißt. Fräulein Müller spinnt die Geschichte in einem kurzweiligen Faden auf, in der es ums Spinnen von Stroh zu Gold geht und wie das alles so kam.

Vor kurzem erst war Christiane Ahlhelm, Gründerin und Leiterin des Theaters Kunstdünger, mit „Die Prinzessin kommt um 4“ im bosco zu Gast. „Fräulein Müller spinnt“ basiert auf dem gleichen Kunstdünger-Konzept, das mit wenigen Requisiten und einem auf das Minimale reduziertem Bühnenbild die Szenenbilder entwickelt: aus der Wäschehexe wird das Mühlrad, aus dem Mühlrad das Spinnrad, und zwischendurch dient es als Schlossfassade mit Fenstern und Türen. Größtes Verwandlungsprinzip ist dabei die Phantasie der Kinder, die mitgehen müssen. Und sie gehen mit: sie sehen die Weihnachtsgirlande unter dem Vorhang im Hintergrund sich ums Spinnrad winden und sehen, wie Stroh zu Gold gesponnen wird; sie nehmen die aufgeklappte Kiste wie eine Klappe wahr, hinter der die Prinzessin zum Rumpelstilzchen und dieses zum Hasen aus dem und mit dem Zylinder wird. Und dass der Blasebalg ein Telefon ist und später einen goldenen Ballon aufbläst, der fast zu platzen droht, das nehmen sie auch wahr wie eine Bühnenwahrheit. Und dass eine einzige Schauspielerin - Christiane Ahlhelm als gestisch-mimische Verwandlungskünstlerin - alle Rollen spielt, vom Fräulein Müller über den Hasen, den König, den alten Müller bis hin zum Rumpelstilzchen -, da gehen die Kinder ebenfalls begeistert mit.

Das glänzendste Gold ist die Phantasie der Kinder. Theatermacher wissen das. So ist es auch nicht verwunderlich, dass in den Kassettenmusik-Momenten die Aufmerksamkeit erst mal weg ist: jedes Kind hat abgespeichert, dass Konservenmusik als Hintergrund dient und man getrost mal weghören kann, um selber zu reden. Genau das passiert auch hier immer dann, wenn solche Musik eine Zaubernummer untermalen oder einen Ortswechsel markieren soll. Eigentlich wäre das verfechtbar (oder aus der Kiste heraus zu zaubern).

Wunderbar aber ist, wie die alte Geschichte vom Rumpelstilzchen auf vielen Ebenen gleichzeitig funktioniert: für die kleinen Zuschauer ist es eine Mutmachgeschichte, die davon erzählt, dass man an Wunder glauben darf und dass man Freunde braucht. Und die Erwachsenen sehen eine Geschichte von einem Vater, der in seiner Tochter das ganz Besondere, Außergewöhnliche sieht und sie damit beinahe ins Verderben stürzt. Denn wer das ganz Großartige können soll und darin auch noch Bester sein muss, darf keine Fehler machen, muss immer weiter, immer mehr liefern - bis er ausgeliefert ist. Wie gut, dass es immer irgendwo einen Hasen gibt, der alles wieder ins rechte Lot rückt.

Sabine Zaplin, 14.12.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.