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Nach(t)kritik

Mi, 08.12.2021
20.00 Uhr

Grantige Enten, verrückte Hühner und andere neue Perspektiven

Veranstaltung: Gerd Holzheimer: Mir ham! (Teil 1)

Am Abend des Tages, als der neue Bundeskanzler gewählt und mit ihm eine neue, in dieser Form noch nie dagewesene Bundesregierung vereidigt wurde, an diesem Abend sich der Entwicklung neuer Perspektiven und den vielfältigen Möglichkeiten des Lebens zu widmen, ist ein mehr als passendes Vorhaben. „MIR HAM!“ - mit diesem aus dem Niederbayerischen stammenden Ausruf aus dem Wintersport des Eisstockschiessens, mit dem die am Zug sich befindende Mannschaft noch vor dem Loslegen die Möglichkeit des Triumphes schon mal benennt, widmet sich die neue Literaturreihe des Schriftstellers und passionierten Lesers Gerd Holzheimer der vorherrschenden pandemischen Grundstimmung zum Trotz dem Mutmachen, dem Optimismus, dem Triumph des Lebens.

Gemeinsam mit Laura Maire stellt Holzheimer dem Publikum gleich drei lebendbejahende Stehauf-Weiblein vor, die sich aus buchstäblich widrigen Umständen heraussehen und sich ein Herz, ja: Mut dassen. Da ist als erstes Alice Herdan-Zuckmayer, Schauspielerin und Ehefrau des Autors vom „Hauptmann von Köpenick“, die gemeinsam mit ihrem Mann vor den Nazis nach Amerika flieht und dort in Vermont eine „Farm in den grünen Bergen“ zum neuen Lebensmittelpunkt werden lässt, mit grantigen Enten, verrückten Hühnern und einer alles andere als friedlichen Natur - wie es der wahrlich nicht als Bäuerin geborenen Künstlerin und ihrem in dieser Hinsicht nicht sehr viel begabteren Gatten dennoch gelingt, einen Neuanfang zu wagen, ist eine Mutmach-Geschichte erster Güte und vor allem wunderbar erzählt.

Auch die „Rumplhanni“ der vom Leben ebenfalls sehr gebeutelten Lena Christ ist so ein Stehauf-Weiblein, die sich vor allem gegenüber den sich immer noch selbstverständlich ihrer bedienenden Männern zu behaupten lernt und bald aufs Feinste versteht. Und schließlich wird mit der von Wilhelm Dieß erzählten Geschichte der Madeleine Winkelholzerin  noch ein eher leiser, dafür aber umso eindringlicher Ton weiblicher Erfahrungen und Lebensbewältigungs-Strategien angeschlagen - von Laura Maire äußerst einfühlsam vorgetragen.

„Gegen jeden auch noch so heftigen Anprall garstiger Gewalten“, lautet der Untertitel, unter dem der Auftaktabend der neuen Reihe steht. Nun sind der garstigen Gewalten derzeit wahrlich genügend Anprallmomente zu beobachten, einer manifestiert sich auch im Anblick der mehr als spärlich besetzten Stuhlreihen. Ob es daran lag oder an anderen Herausforderungen der Gegenwart - so recht mochte an diesem Abend keine Mutmachstimmung aufkommen. Die im Saal vergleichsweise größere Distanz zwischen Podium und Publikum blieb größtenteils bestehen, und die gut neunzig pausenlosen Minuten erschöpften die Zuhörerinnen und Zuhörer schon deshalb, da das Schwergewicht diesmal überproportional auf dem gelesenen Wort lag und nur sehr wenig Moderation die Auswahl der Texte kommentierte oder anekdotisch ergänzte. Bleibt zu hoffen, dass Gerd Holzheimer an den beiden anderen Abenden wieder zur gewohnten Form aufläuft und selber stärker den Eisstock schwingt. Oder, um es mit der Rumplhanni zu sagen: „In Gotts Namen hamma ogfangn, in Gotts Namen deama weida“.

Sabine Zaplin, 09.12.2021


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 08.12.2021 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.