Nach(t)kritik
Herrenrad und Wärmepumpe
Veranstaltung: Schlachtplatte: Die Jahres-Endabrechnung 2023Die Zeiten werden wilder und die Jahresrückblicke daher immer weniger komisch. Schließlich bieten Kriege, Terror, der rasant voranschreitende Klimawandel und das Erstarken autoritärer, rechtsradikaler Kräfte wenig Anlass zu Satire - oder anders gesagt: sie lassen oft das Lachen gefrieren. Doch Robert Griess, Erfinder und Motor des kabarettistischen Jahresrückblicks „Schlachtplatte“, lässt sich von Katastrophen nicht den Blick auf die durchaus (und vermutlich nur noch) mit Ironie zu betrachtenden Ereignisse des vergangenen Jahres 2023 trüben. So bekennt er zwar mit aller Deutlichkeit, dass zum Hamas-Überfall auf Israel am 07. Oktober keine kabarettistische Anmerkung möglich ist. Doch zu dem, wie dann hierzulande in den „Wohlfühl-Milieus der Engagierten“ die Debatte aufgegriffen und geführt wurde, ist ihm mit seinen Kolleginnen Alice Köfer und Christine Sittenauer (kurzfristig und äußerst gut vorbereitet eingesprungen für die erkrankte Kathi Wolf) und dem Kollegen Holger Müller dann doch eine sehr komische Szene eingefallen im Stil der Komödie „Der Vorname“: die vier Schlachtplatten-Mimen schlüpfen hier in die Rollen von jeweils zwei Ehepaaren, die sich in ihren absurdesten Solidaritätsbekundungen für die israelische Zivilbevölkerung einerseits und für die zwischen die Fronten getriebenen Bewohnerinnen und Bewohner des Gazastreifens andererseits gegenseitig zu übertreffen und vor allem zu belehren versuchen - ein gelungener satirischer Kommentar zu den absurden Reaktionen auf ein entsetzliches Ereignis.
Andere Krisen des vergangenen Jahres fingen, so Griess, fast alle mit „B“ an: Bauernproteste, Bahnprobleme, Bundeswehr. Da ist es rückblickend geradezu folgerichtig, dem mit einem positiven Phänomen zu begegnen, das ebenfalls mit einem „B“ beginnt: dem Erfolg von Greta Gerwigs Film „Barbie“, dessen Titelsong den Abend im bosco eröffnete. Manchmal hilft eben eine rosarote Brille mehr als ein erhobener Zeigefinger angesichts von so viel Negativem, das einem aus Schlagzeilen entgegenschreit.
A propos Schlagzeilen: deren an Marktanteilen und Online-Klickzahlen orientierte Parolen-Schwarzmalerei spießen die vier ebenfalls auf mit einem fingierten BILD-Zitat zu den im Sommer und Herbst zu beobachtenden klimawandelbedingten Naturkatastrophen: „Kann die Ampel es nicht einmal dort regnen lassen, wo es brennt?“
Nun ist es die ureigene Aufgabe des politischen Kabaretts, mit kritischer Satire den Mächtigen auf die Finger zu schauen, selbst in Katastrophenzeiten wie den gegenwärtigen. Und so wird das gleich zu Beginn abgehandelt mit ein paar Bemerkungen zum Temperament des Bundeskanzlers (und, aus dem ganz alten Hut des Altherrenkabaretts zu dessen äußerer Erscheinung), zum rasanten Alterungsprozess desWirtschaftsministers (aus dem gleichen Hut, garniert mit dem längst abgedroschenen Hinweis auf das hohe Durchschnittsalter des Kabarettpublikums) und zum Auftreten der Außenministerin (der feine kleine Seitenhieb auf ihre selbst propagierte „feministische Außenpolitik“ angesichts der angekündigten Waffenlieferungen an ein für seinen Umgang mit Frauenrechten negativ bekanntes Land wie Saudi-Arabien war dagegen wunderbar).
Zwei echte Highlights im Programm boten die beiden Damen. So nahm Christl Sittenauer in einer wunderbar hingerotzten Solo-Nummer mit einer gehörigen Portion Frechheit Stellung zu Fragen der Geschlechterperspektive (großartig ihre Überlegungen zur Funktion der Stange beim Herrenrad, erschreckend wahr ihre Beschreibung des Horror-Faktors beim nächtlichen Weg über einen Park-and-Ride-Parkplatz), während Alice Köfer mit ihrer solistisch erzählten Szene einer Bahnfahrt Einblicke in den Umgang mit neuen Kommunikationsformen gab (der Sitznachbar, der an einer Zoomkonferenz teilnahm und ihre Erkenntnis, mit dem Butterbrot in der Hand die ganze Zeit mit in seinem Kachelbild zu sein). Großartig war auch Köfers gesungene Erläuertung der Funktionsweise einer Wärmepumpe, im Stil von Edith Piaf oder Barbra Streisand. Gegen diese urkomische, temperamentvolle Frauenpower wirkte Holger Müllers Bundeswehr-Ausbilder in seinem Solo ein wenig altbacken.
So war der kabarettistische Rückblick auf das Jahr 2023 wie das Jahr selber: im Großen bot es eher wenig Anlass zum Lachen, im Detail jedoch ließ sich einiges aufspießen auf die Schlachtplatten-Gabel.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.