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Nach(t)kritik

Fr, 22.09.2023
20.00 Uhr

Hexen und Verwandlungen

Veranstaltung: Monika Roscher Bigband: Witches-Tour

Es gibt viele Arten zu komponieren. Manche hangeln sich an Strukturen entlang, andere folgen einem Melodie-Einfall und bauen ihn aus. Man kann Musik aus der Improvisation entwickeln und in ein Notenblatt verwandeln oder inzwischen sogar vermeintliche Kunstintelligenzen darauf ansetzen. Monika Roscher wählt einen anderen Weg. Sie liebt es zu erzählen, Geschichten zu montieren, einzelne Elemente einer Anekdote, eines Motivs oder eines Plots gegenüberzustellen und sie aufeinander wirken zu lassen. Ihr aktuelles Lieblingsprojekt beschäftigt sich mit Hexen im eigentlichen und übertragenen Sinne, mit Ideen von Wildheit und Beherrschung, Ungezügeltem und Reflexion. Die in München lebende Gitarristin, Sängerin und Komponistin hat ihren Spaß daran, mit den Klischees der musikalischen Einbildungskraft zu spielen. Und sie hat sich mit ihrer Big Band seit 2011 ein Ensemble geschaffen, das ihre ungewöhnlichen Klangvorstellungen in eine sehr präsente Form verwandelt.

Dabei geht es Monika Roscher auf der Bühne einerseits darum, ihr neues und drittes Album „Witchy Activities And The Marple Death“, für das sie in diesen Tagen mit dem renommierten Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde, im Bosco in eine wirkungsvoll schillernde Live-Version zu übersetzen. Es ist ihr aber darüber hinaus auch eine Herzensangelegenheit, gemeinsam mit ihrem 17-köpfigen Team Musik zu den Menschen zu bringen, die ihre eigene Klangwelt ausbreitet. Eine Suite wie „Wichtes Brew“ zum Beispiel ist einerseits ein komplex strukturiertes fünfteiliges Orchesterstück, das mit Seitenblick in die Jazzgeschichte einem knapp zehnminütigen Spannungsbogen folgt. Es ist zugleich aber eine Relativierung des Ernstes, spielt mit Elementen von Varietésound bis zu rockmusikalischem Ausbruch, um die Schwere eines großen Ensembles aufzubrechen.

Und dieses Spiel mit den Gegensätzen bestimmt den ganzen Abend. Monika Roscher schlüpft in Kostüme, dirigiert im Kapuzenumhang, im Leuchtanzug, im Indie-Outfit oder Farbendress. Sie ist die Björk-hafte Sängerin, die konzentrierte Dirigentin, die solierende Rockmusikerin. Sie leitet durch zerhackte Arrangementmomente und sanft fließende Atmosphären, durch massiv druckvollen Bläsersound und jazzswingend leichte Passagen. Die Big Band lässt sich von der Musik und der Energie der Leiterin mitreißen. Sie wird zu einem Motor der wunderbar humorvollen Klangfantasien, die sie in der Zugabe „When I Fall In Love“ noch einmal raffiniert kontrastreich zuspitzt. Das ist jazzbasierte Ensemblekunst, mit einer Chuzpe präsentiert, die über die Möglichkeiten üblicher Big Band Gestaltung hinausgeht. Es ist Musik einer Künstlerin, die mit ihrem Ensemble genau das macht, was ihr wichtig ist, und mit einem Lächeln im Konzept das Hörgewohnte hinter sich lässt.

Ralf Dombrowski, 23.09.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 22.09.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.