Nach(t)kritik
Im Dunkel der Sepiasprachwelt
Veranstaltung: Alfred Dorfer: Programm "und…"Die letzte Frage, die je ein Mensch stellen wird, sie wird lauten: „War´s das?“ Und jemand - nennen wir ihn Gott oder Zufall oder Regisseur - jemand wird antworten: „Ja. Das wars“. Das aber, das da war, war gut und gehaltvoll und nicht zu übersehen oder zu überhören für den, der Augen und Ohren hat und zwischen beidem einen Verstand, der diesen Namen wert ist. „und“, heißt das neue Soloprogramm, mit dem Alfred Dorfer heute Abend im bosco gastierte. Ein Programm vom Fortgehen und Ankommen, vom Ende und vom Anfang. Die Rahmenhandlung setzte einen Umzug: eine alte Wohnung musste aufgegeben werden, eine neue bezogen. Zwischen Umzugskarton und ein paar Soundeffekten entwickelte der Kabarettist eine Folge scheinbar lose miteinander verknüpfter freier Assoziationen, die vom Ende her betrachtet eine Geschichte erzählen: die Geschichte von einem, der auszog, die Welt zu verstehen und der feststellen muss, dass das allermeiste, das ihm unterwegs begegnet, sich genau diesem Wunsch widersetzt.
Das beginnt mit dem Dadaismus der Handy-Benutzer, die sich Botschaften mitteilen wie „Ich bin jetzt da, wo bist du?“. Das setzt sich fort beim Versuch, sogenannter Entscheider, wichtig zu klingen, indem sie englische Begriffe in den Redefluss einbauen und sich beim Meeting zum Lunch ein paar Cases anschauen, die irgendwelche skills triggern - you got me? Und das ist noch lange nicht zu Ende bei jenen Verstehern, die alles evaluieren, anstatt es einfach auszuwerten. „Sepiasprache“, nennt Alfred Dorfer diese vielen kleinen schwarzen Löcher, in denen unser Sprachschatz allmählich, aber unwiederbringlich verschwindet. Sepiasprache - das ist der Tintenfisch, der alles dunkel einhüllt, bis die anderen Fische glauben, er sei ein rauchender Orka.
Eine Vielzahl von Rollen trägt, erzählt diese Geschichte. Dorfer wechselt sie ebenso rasch, wie eine Lichtstimmung die Bühne anders aussehen lässt - im Handumdrehen, im Reglerziehen. Mal ist er ein schmieriger Provinzjournalist, mal ein von Störungen der oberen Atemwege geplagter Universitäts-Dozent, dann wieder wird er zur wartenden alten Mutter, zum arroganten Theaterintendanten, zum fiesen Vater. Wie ein Reigen der Lebensbegleiter tauchen die Figuren in seinem satirischen Stream of Consciousness auf, immer rascher werden die Wechsel. Doch je weiter der Abend fortschreitet, desto klarer offenbaren sich die anfangs noch willkürlich scheinenden Assoziationen und philosophischen Betrachtungen. Was in der ersten Hälfte des Abends gesät wurde, geht nach der Pause auf und kann als Ernte eingefahren werden: die Aufforderung zum größten Wagnis überhaupt - sich seines Verstandes zu bedienen, unabhängig von allen anderen Ablenkungsmanövern.
„Wann hat das angefangen“ ´, fragt Alfred Dorfer sich schon relativ früh in diesem Programm, „wann begann das, diese Manie, Dinge voneinander zu trennen, die man doch nur unterscheiden kann?“ Die Frage beispielsweise, ob er nun Kabarett mache oder doch eher Comedy oder womöglich gar Performance? Die Sucht, beim Essen eine scheinbar politische Haltung einzunehmen, indem man auf Milch verzichtet oder Eier? „Dürfen Veganer Oralverkehr haben?“ fragt sich Dorfer und kennzeichnet den rasch eingeschobenen Gag sofort als solchen. Stimmt es, dass man, weil man denkt, tatsächlich ist? Cogito ergo sum? Dann müsste jemand, der im Supermarkt Bananen klaut und sich dabei nichts gedacht hat, es folglich gar nicht gewesen sein.
Dabei ist es gar nicht so schwer, klar zu unterscheiden: er habe daheim einen Eichentisch, sagt Dorfler, und auch seine Eingangstür sei aus Eiche; dennoch habe er von dieser noch niemals sein Frühstück gegessen. Doch solange Bildung mehr auf Auswertung, Trennung und Abqualifizierung denn auf Persönlichkeitsbildung setzt, wird sich hier wohl nichts ändern. Wars das? Ja. Das wars wohl.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.