Nach(t)kritik
Inniglich inttiescht - Ein nächtlicher Monolog
Veranstaltung: Sigi Zimmerschied: Tendenz steigend - ein HochwassermonologNaturkatastrophen lassen die Menschen oft ziemlich ratlos zurück. Sinnfragen tauchen auf: was soll das, woher kommt das und hat es eine tiefere Bedeutung? Gewaltig wie eine Naturkatastrophe sind die Kabarettabende des Sigi Zimmerschied, vergleichsweise einzigartig und in der Regel nachhaltig. „Tendenz steigend - ein Hochwassermonolog“, heißt das aktuelle Programm, das er im bosco vorstellt. De Bühne ist leer, der Monolog ein Epos mit dem Kehrvers „Automatischer Anrufbeantworter Pegelstand Inn Passau“ und wiederkehrenden Themen wie der Regenbogenfamilie und einer bischöflichen Wohngemeinschaft. Parallel zum steigendem Hochwasserpegel steigt die Verwirrung, sinkt der Spannungsbogen und mit diesem die Aufmerksamkeit. Ratlos wie nach einer Hochwasserkatastrophe verlässt man den Saal, durch welchen noch eben bei vollem Licht der Künstler das Bad in der Menge suchte, navigierend im Rettungsboot seines nicht endenden Monologs.
Ein paar angeschwemmte Habseligkeiten - Gegenständen nicht unähnlich - lassen sich zusammentragen. Da war die Geschichte mit der Sprache: „26 Optionen gegen die Einsamkeit“ bietet das Alphabet, unter diesen sind die Vokale die klangvollsten Singträger, Vokale wie das zwitschernde „i“, das wie ein Pferdegebrüll klingt in dem Wort „Wiehbischiff“. Oder der Vokal „e“, womöglich der katholischste unter den Vokalen. Sprache bietet immer wieder neue Optionen an, neue Wörter wie „Schicksalhaft in Not Geratener“ anstelle von „Bettler“ lassen den Sprechenden barmherziger scheinen; auch „Anlageberater“ ist so ein schönes neues Wort für das einstige, so profane „Arschloch“. So mancher versteht sich derart virtuos auf das Jonglieren mit neuen Wörtern, das es beinahe die Foltermethode des „Sprachboardings“ darstellt (womit das Thema des Überflutens sich wieder durchgesetzt hat).
Da war die Geschichte mit der um sich greifenden Harmoniesucht. Sogar der für Derartiges bisher nicht bekannte Künstler scheint sich angesteckt zu haben, hat alte Feindbilder über Bord geworfen (sic!) und macht sich sogar für ein friedliches Nebeneinander der konträren Gattungen Kabarett und Comedy stark. Bei steigenden Pegelständen ist man auf jeden angewiesen, auch auf den albernen Comedy-Kalauerlauerer.
Da war die Geschichte mit dem App-Indikator, ein weiteres Kommunikations-Thema: je mehr Apps auf dem Handy, desto Gaga - kurz gesagt. Bis zu zehn Apps lassen noch den gesunden Menschenverstand zu, an die zwanzig davon auf dem Smartphone führen zu blindem Vertrauen und mehr als zwanzig zum Folgen falscher Fährten.
Am Ende des Abends ging das Hochwasser zurück. Was übrig bleibt, ist knöchelhoher Schlamm, die aufgeweichte Bilanz der vergangenen Jahre. Ratlosigkeit. So auch nach diesem Monolog, der zwar brillant auf der leeren Bühne (und zwischendrin im Saal) steht, der den Konsonanten mehr vertraut als den trügerischen Vokalen, aber der trotz Verzichts auf übertriebenes Castorfsches Regietheater wie dieses große Längen hat und sich schwer erschließen läßt. „Was für ein Anlageberater!“, möchte man sagen, weiß sich aber zu benehmen und schreitet nachdenklich zur Garderobe. Ob es an Passau liegt? Wo liegt das eigentlich, dieses Passau? Hat das nicht das letzte Hochwasser hinfortgespült?
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.