Nach(t)kritik
Kein Geschleime
Veranstaltung: HG. Butzko: echt jetztGerät man als Kritiker in die Verlegenheit, einen Kabarett-Abend mit dem identischen Solo-Akteur und dem gleichen Programm ein zweites Mal bewerten zu müssen, kann man dies entweder als sinnlose Wiederholungsübung sehen oder aber als seltene Chance zum Vergleich. H.G.Butzko, leidensfähiger Schalke-Fan aus dem westfälischen Düren, gastiert ungefähr alle zwei Jahre im Bosco, und zwar gerne - „Kein Geschleime“, sagt Butzko dazu. Normaler Weise bringt solche Treue jeweils ein neues Programm mit sich – diesmal allerdings präsentierte der Mann mit dem Schieber-Käppi nahezu exakt das gleiche wie im Dezember 2018, sein insgesamt zehntes: „Echt jetzt“, ein wenig aktualisiert um die jüngsten Ereignisse im Thüringer Landtag. Butzkos Plauderton in Tresen-Pose ist natürlich unverändert geblieben, sein leichter Ruhrpott-Jargon ebenfalls. Der Blick auf die Welt: unverändert bitter, garniert mit einiger Entrüstung. Seit 2018 und der Politposse in Erfurt ist freilich noch eine gute Portion FDP-Bashing hinzugekommen. Über Christian Lindner, den Parteivorsitzenden der Liberalen, ätzt Butzko gleich mal: „Sollte Zurückrudern ins olympische Programm aufgenommen werden, kenne ich jetzt schon den Favoriten.“ Ansonsten aber verweigert H.G. das bei Kabarettisten praktisch zum Steh-satz gehörende Anti-Trump-Ritual mit den Worten: „Mein Programm ist mir zu schade für diese Knallcharge im Weißen Haus!“
Danach schwenkt Butzko endgültig auf die Linie von 2018 ein, und zwar fast punktgenau: Beschäftigt sich mit den selbsternannten Patrioten von „Pegida“ und kalauert über die Unterschiede, dass „Patriots“ ja eigentlich Raketen „mit intelligentem Suchkopf“ seien. Er stellt Ost-West-Vergleiche an, analysiert Dominanzgruppen und outet sich als „weiß, männlich, Wessie“ undsoweiter und macht aus seinem Unverständnis für die sich ewig als Unverstandene inszenierenden Ossies kein Hehl. Den per Sonderzug ausgereisten Botschaftsflüchtlingen von Prag rief er 1989 von seinem damaligen Balkon in Hof an der Saale zu (er war dort am Theater tätig): „Hier isses auch nicht besser, nur anders Scheiße!“ Warnende Worte, Butzko hat schon Vieles kommen sehen in seinen 23 Jahren als Kabarettist. Die Haltung des Tresen- bzw. Stehtisch-Kommentators mit Pils in der Hand hat H.G. quasi als zeitlose Figur konzipiert: Volkes Stimme, mal ganz ohne Populismus. Zwischendurch dann doch wieder eine Prise Aktualität: Als er gerade ansetzen will, über den zunehmenden Handynutzer-Schwachsinn zu philosophieren (genau wie schon 2018 auch im Publikum zu orten), stellt er fest, dass Telefonknochen-Intensivnutzer „unbeliebt, aber inzwischen in der Mehrheit“ sind - und dann fügt er treffsicher hinzu: „Was gäbe Friedrich Merz dafür, ein Handy zu sein!“
Im zweiten Teil von „Echt jetzt“ beschäftigt sich Butzko dann wieder mit dem typischen Thema der Prä-You-tuber – der ethischen Kritik an der rasanten Entwicklung von Kommunikationstechniken, dem damit einhergehenden Kultur- und Sittenverfall. Ein zweifellos enorm wichtiges Feld, doch kommt mittlerweile beim Zuhören ein resignatives „So-what?“-Gefühl auf. Man kann die Entwicklung nicht mehr aufhalten, aber Motzen, dass man als Älterer nicht mehr mithalten will oder kann, bringt ja auch nichts. Entsprechend angestrengt wirkt dann leider auch die mit Strubbel-Perücke vorgetragene Nummer vom Missverstehen neuzeitlicher Begriffe durch einen begriffsstutzigen Freak der alten Penner-Schule: „Striemen“ - waren das nicht Kratzer auf der Haut? Nun ja. Butzko ist ziemlich gründlich in seinen Betrachtungen der Moderne, geradezu buchhalterisch. Das ist einerseits seine Stärke, andererseits auch bisschen Trotzhaltung und ein Verweigern der wohlfeilen, seichteren Gangart. Nein, kein Geschleime, man muss wirklich nicht jeden modischen Hype mitmachen, auch nicht Comedy. Man muss sich aber auch nicht immer endlos an der Ablehnung der neuzeitlichen Hirnlosigkeit abarbeiten. Dann sieht man irgendwann wirklich alt aus. H.G. war genauso gut wie 2018, doch das Publikum dürfte ein anderes gewesen sein als damals – und fand den Mann mit dem Schieber-Käppi wieder prima. Der Kritiker aber würde sich wünschen, dass Butzko bald wieder ein frisches Programm auftischt – gerne mit Pils dazu.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.