Nach(t)kritik
Kit Armstrong: Empfindsamer Gigant
Veranstaltung: Kit Armstrong: Klassik extra - Haydn, Mozart, BeethovenEr ist schon ein ganz besonderer Mensch. Nicht nur, weil er grandios Klavier spielt, und das schon seit seiner frühsten Jugend; nicht weil er nebenbei schon seit seinem siebten Lebensjahr an verschiedenen Universitäten Naturwissenschaften studiert oder jetzt auch noch in Paris ein Mathematikstudium absolviert hat. Nein, vielmehr, weil Kit Armstrong sich nichts darauf einbildet und sich eine geradezu kindliche Natürlichkeit bewahrt hat. Wenn er sich an den Flügel setzt und in tiefe Konzentration versinkt, dann kann man nicht umhin, ihm in diese Beseeltheit zu folgen. Und wenn er dann zu spielen beginnt, dann ist es, als würde er eine ganz neue Welt vor den Augen des Publikums entdecken.
Obgleich erst 23 Jahre alt, bewies Armstrong im bosco vom ersten Moment an, als er die Bühne betrat, ein solches In-sich-Ruhen, wie man es sonst nur bei reifen Musikern erleben kann. Mit dieser inneren Balance vermag er eine enorme Spannung und Intensität zu erzeugen und auch zu halten. Und das war gerade bei Haydn ungemein wichtig, sind doch die Variationen f-Moll Hob XVII:6 kein Werk von großer Gewichtigkeit oder besonders anspruchsvoller Anlage. Dennoch hielt Armstrong sein Publikum mit diesem Werk durchgehend in Atem. Schon alleine das auf geradezu körperhafte Ruhe beharrende Thema spielte er so konsequent in seiner getragenen Langsamkeit aus, dass fast schon eine Schmerzgrenze erreicht war. Und selbst die virtuosesten Variationen kamen ohne forcierte Dramatik aus, überzeugten vielmehr mit filigraner Anschlagspräzision, feinsinnig die feinsten Ausdrucksnuancen formend. Sein perlender Anschlag ist von makellosem Ebenmaß und in seiner Gestaltung bis ins Detail emotional beherrscht.
Was auch immer Kit Armstrong spielt: Es wird immer etwas Besonderes. Offenbar hat er von Alfred Brendel die musikalischste Betreuung erfahren, die man sich als junger Musiker nur wünschen kann. Eine, die Musik als Mysterium und Abenteuerspielplatz zugleich begreift, wo Geist, Seele, Intellekt, Spielfreude und Empfindung zusammenfinden. Aus diesem Verständnis heraus entstanden auch die scheinbar kleinen Werke von Mozart, die er zur Untermalung einer „großen Trauer- und Gedächtnisschau“ eines Wiener Wachs- und Kuriositätenkabinetts für ein „Orgelwerk in einer Uhr“ komponiert hatte und die heute im Repertoire von Orgelvirtuosen zu finden sind. Armstrong setzte den kompletten Orgelsatz auf dem Flügel um, doch vom Impetus her gänzlich ins Pianistische übertragen. Also in einer Klarheit und Transparenz, die nicht viele Orgelwerke unbeschadet überstehen. Aber Mozart ist eben Mozart. Seine Werke, insbesondere die beliebte Fantasie f-Moll KV 608, gewannen sogar durch die Schlankheit und geschärfte Präzision Armstrongs an Eindringlichkeit und Ausdruckstiefe.
Dass er auch nach Beethovens „Großer Sonate für das Hammer-Klavier“ würde zufrieden lächeln können, war wohl vor allem für Armstrong selbst ungewiss. Zum ersten Mal überhaupt Interpretierte er die Hammerklavier-Sonate B-Dur op. 106 öffentlich. Was ja nicht heißen soll, dass er sie erst jetzt zu spielen gelernt hat, sondern vielmehr, dass er nun hundertprozentig begreift (sofern überhaupt möglich), worum es in diesem gigantischen Werk geht. Welch einen langen Reifungsprozess er diesem Werk gegönnt hat, konnte man anhand der Interpretation schon ermessen. Er hielt sich an Beethovens rasant vorgeschriebenen Tempi, die teils tänzerische Leichtigkeit hervorrufen, zauberte dennoch Rücknahmen von tiefer Ruhe und Beseeltheit. Ein extremes Kontrastprogramm, dass in Armstrongs Konzentration nicht im Geringsten Gefahr lief, die Homogenität aufzubrechen. Das ausgedehnte, 22-minütige Adagio von nicht enden wollender Getragenheit stellte Armstrong und seine Hingebung vor eine enorme Probe, die er zweifelsohne mit Bravour bestand. Er schien Carl Czernys Auslegung des Satzes zu befolgen, der vom „wunderbaren Tonstück […], das die Gefühle des bejahrten, körperlich und geistig niedergedrückten Meisters schildert, der sich bisweilen einer bessern Zeit erinnert“ schrieb. Wie wunderbar wohltuend das kleine Aufblitzen nostalgischer Erinnerung hier erklang!
Auch die zwei Zugaben von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach blieben in voller Konzentration und Dichte.
Obgleich erst 23 Jahre alt, bewies Armstrong im bosco vom ersten Moment an, als er die Bühne betrat, ein solches In-sich-Ruhen, wie man es sonst nur bei reifen Musikern erleben kann. Mit dieser inneren Balance vermag er eine enorme Spannung und Intensität zu erzeugen und auch zu halten. Und das war gerade bei Haydn ungemein wichtig, sind doch die Variationen f-Moll Hob XVII:6 kein Werk von großer Gewichtigkeit oder besonders anspruchsvoller Anlage. Dennoch hielt Armstrong sein Publikum mit diesem Werk durchgehend in Atem. Schon alleine das auf geradezu körperhafte Ruhe beharrende Thema spielte er so konsequent in seiner getragenen Langsamkeit aus, dass fast schon eine Schmerzgrenze erreicht war. Und selbst die virtuosesten Variationen kamen ohne forcierte Dramatik aus, überzeugten vielmehr mit filigraner Anschlagspräzision, feinsinnig die feinsten Ausdrucksnuancen formend. Sein perlender Anschlag ist von makellosem Ebenmaß und in seiner Gestaltung bis ins Detail emotional beherrscht.
Was auch immer Kit Armstrong spielt: Es wird immer etwas Besonderes. Offenbar hat er von Alfred Brendel die musikalischste Betreuung erfahren, die man sich als junger Musiker nur wünschen kann. Eine, die Musik als Mysterium und Abenteuerspielplatz zugleich begreift, wo Geist, Seele, Intellekt, Spielfreude und Empfindung zusammenfinden. Aus diesem Verständnis heraus entstanden auch die scheinbar kleinen Werke von Mozart, die er zur Untermalung einer „großen Trauer- und Gedächtnisschau“ eines Wiener Wachs- und Kuriositätenkabinetts für ein „Orgelwerk in einer Uhr“ komponiert hatte und die heute im Repertoire von Orgelvirtuosen zu finden sind. Armstrong setzte den kompletten Orgelsatz auf dem Flügel um, doch vom Impetus her gänzlich ins Pianistische übertragen. Also in einer Klarheit und Transparenz, die nicht viele Orgelwerke unbeschadet überstehen. Aber Mozart ist eben Mozart. Seine Werke, insbesondere die beliebte Fantasie f-Moll KV 608, gewannen sogar durch die Schlankheit und geschärfte Präzision Armstrongs an Eindringlichkeit und Ausdruckstiefe.
Dass er auch nach Beethovens „Großer Sonate für das Hammer-Klavier“ würde zufrieden lächeln können, war wohl vor allem für Armstrong selbst ungewiss. Zum ersten Mal überhaupt Interpretierte er die Hammerklavier-Sonate B-Dur op. 106 öffentlich. Was ja nicht heißen soll, dass er sie erst jetzt zu spielen gelernt hat, sondern vielmehr, dass er nun hundertprozentig begreift (sofern überhaupt möglich), worum es in diesem gigantischen Werk geht. Welch einen langen Reifungsprozess er diesem Werk gegönnt hat, konnte man anhand der Interpretation schon ermessen. Er hielt sich an Beethovens rasant vorgeschriebenen Tempi, die teils tänzerische Leichtigkeit hervorrufen, zauberte dennoch Rücknahmen von tiefer Ruhe und Beseeltheit. Ein extremes Kontrastprogramm, dass in Armstrongs Konzentration nicht im Geringsten Gefahr lief, die Homogenität aufzubrechen. Das ausgedehnte, 22-minütige Adagio von nicht enden wollender Getragenheit stellte Armstrong und seine Hingebung vor eine enorme Probe, die er zweifelsohne mit Bravour bestand. Er schien Carl Czernys Auslegung des Satzes zu befolgen, der vom „wunderbaren Tonstück […], das die Gefühle des bejahrten, körperlich und geistig niedergedrückten Meisters schildert, der sich bisweilen einer bessern Zeit erinnert“ schrieb. Wie wunderbar wohltuend das kleine Aufblitzen nostalgischer Erinnerung hier erklang!
Auch die zwei Zugaben von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach blieben in voller Konzentration und Dichte.
Nach(t)kritik von Reinhard Palmer, 22.06.2015
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.