Direkt zum Inhalt

Nach(t)kritik

So, 22.03.2015
20:00 Uhr

Kitschiges Künstlerdrama in Schwarz und Weiß

Veranstaltung: Renaissance Theater Berlin: "Rot" von John Logan
Der Künstler Mark Rothko ein schwadronierender Schreihals, ein plärrender, gewalttätiger Choleriker? Wer seine Bilder kennt, der möchte das nicht glauben. Und wer sich mit dem Leben und Werk von Mark Rothko beschäftigt, jenem Maler, dem Einfühlung, Stille, Kontemplation alles bedeuteten, der möchte das erst recht nicht glauben. Der Drehbuchautor John Logan hat mit seinem Stück „Rot“ den Künstler Mark Rothko zum Hollywood-Helden gemacht – in allerbester Schwarz-Weiß-Manier. Am Sonntagabend war das Renaissancetheater Berlin mit der deutschen Fassung von „Rot“ zu Gast in Gauting: Unter der Regie von Torsten Fischer müssen die beiden Schauspieler, Dominique Horwitz als Mark Rothko und Benno Lehmann als sein Assistent Ken, einen neunzigminütigen Parforceritt durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts und Leben und Werk von Mark Rothkos absolvieren.
Mark Rothko, 1903 in Dwinsk im heutigen Lettland geboren, gehört zu den bedeutendsten Vertretern des amerikanischen Abstrakten Expressionismus und gilt als einer der Begründer der Farbfeldmalerei. Seine Bilder sind glühende Farbräume aus vagen rechteckig geformten Flächen, die aufgrund einer speziellen Lasurtechnik über dem Bildgrund zu schweben scheinen. In seinem letzten Lebensjahrzehnt verdunkelten sich seine Bilder, Schwarz löste die spannungsreichen, aber weich abgestimmten Farbkontraste ab. Rothkos zentrales Anliegen war die Wirkung der Farben und eine intensive Betrachter-Bild-Beziehung. Als Folge einer depressiven Erkrankung nahm sich Rothko 1970 in seinem Atelier das Leben.
1958 erhielt Rothko den Auftrag, für das Restaurant „Vier Jahreszeiten“ im neu gebauten Seagram Gebäude an der New Yorker Park Avenue einen Zyklus von großformatigen Wandbildern zu malen. Es war der größte Auftrag seines Lebens. Mit einem Raum, der nur für seine Bilder gebaut würde, schien sich ein Lebenstraum zu erfüllen. Als er jedoch erkannte, dass sie in einem Restaurant zu bloßen Wanddekoration reduziert würden, gab er den Auftrag zurück und behielt seine „Murals“ für sich. Um diese Episode hat Logan das Stück geschrieben, bei ihm ist es der junge Assistent Ken, der den alternden Maler davon überzeugt, die Bilder zurückzuziehen.
Und nun entfaltet sich auf der Bühne das, was sich ein Hollywood-Regisseur unter einem Künstlerdrama vorstellt: Das Genie raucht und säuft, es doziert, hasst Galeristen und Kritiker-Ratten und vor allem schreit es praktisch ununterbrochen. Der Assistent wird eingestellt zum Aufspannen der Leinwände und Grundieren der Bilder, zum Essen holen und zum Prügel einstecken. Der Meister brieft ihn, als würde er ihn auf eine „Mission Impossible“ schicken: „Sind Sie bereit, das alles auszuhalten?“ Ja, natürlich! Und schon beginnt das Drama: Eineinhalb Stunden muss er sich das unerträgliche Lamentieren und Schimpfen anhören, wird er niedergebrüllt und geprügelt – und schließlich umarmt und geküsst. Schwarz und weiß sind die Farben von Hollywood, sie heißen hier nur Schwarz und Rot: „Eines Tages wird das Schwarz das Rot verschlingen.“ Es gibt keine Zwischentöne und erst recht kein Nachdenken. Gut und Böse. Pop-Art gegen Farbfeldmalerei. Gegenwart gegen Vergangenheit. Jung gegen Alt. Schwieriger alter Künstler. Am Ende Selbstmord zur Strafe. So einfach ist das.
Die beiden Akteure müssen dieses Stück zwischen einer riesigen Staffelei und ebenso riesigen Bildern absolvieren wie ein Zirkeltraining in der Turnhalle – sie machen das atemlos, irrsinnig und durchaus gut. Diskutieren, Streiten, Brüllen, Schnaufen. Bilder schleppen, Farbe rühren, Pinsel schwingen, schwer atmen. Rauchen, Saufen, Prügeln, Weglaufen, Hinterherrennen. Die rote Farbe spritzt wie Blut, das Blut des mit Farbe vorweggenommenen Suizids. Hollywood-Kitsch vom Feinsten.
KATJA SEBALD
Katja Sebald, 23.03.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
Galerie
Bilder der Veranstaltung
So, 22.03.2015 | © Alle Fotos: Hans-Georg Krause