Nach(t)kritik
Klingende Solidarität
Veranstaltung: Benefiz für die Ukraine: Julia Fischer, Violine und Viola, Lena Neudauer, Violine & Adrian Oetiker, KlavierDie letzten Wochen haben nicht nur gezeigt, wie erschreckend fragil die über die Nachkriegs-Jahrzehnte etablierte Werteordnung Europas ist, sie haben auch gezeigt, wie schwer es fällt, angesichts des Schreckens geeignete Worte zu finden. Musik ist deshalb ein Mittel der ersten Wahl, eine Intervention gegen den Krieg hörbar zu machen, Mitgefühl für die Leidtragenden auszudrücken und zugleich handfeste Unterstützung aufzubringen. So zeigen die Geigerinnen Julia Fischer und Lena Neudauer mit dem Pianisten Adrian Oetiker ihre Solidarität in gleich zwei Benefizkonzerten. Das damit gesammelte Spendengeld kommt ganz der Ukraine-Hilfe des Roten Kreuzes zugute, die sich um die Versorgung der zahlreichen im Landkreis angekommenen Flüchtenden kümmert (Spendenkonto: Theaterforum Gauting e.V., Iban: DE06 7025 0150 0022 8861 21).
Vielleicht überrascht, dass auf dem Programm des Abends kein ukrainischer (und auch kein russischer) Komponist zu finden ist. Das liegt an der Reaktionsgeschwindigkeit, mit der Fischer, Neudauer und Oetiker das Programm realisiert haben. Alle drei Wahl-Gautinger (und Kollegen an der Münchner Musikhochschule) sind gefragte, international engagierte Musizierende. Da war zunächst zu prüfen, ob überhaupt ein Programm zusammenzustellen ist. Siehe da, es hat geklappt und auf überzeugende Weise.
Schon der Auftakt zeigt, wie spontan das Konzert zustande kam. Denn auf dem Programm steht Joseph Haydns Sonate Opus 8 Nummer 4 für zwei Violinen und Klavier. Gespielt wird dann aber die fünfte Sonate der Sammlung. "Uns ist gestern beim Proben aufgefallen, dass Nummer 5 eigentlich noch schöner ist", sagt Julia Fischer. Da hat sie wohl recht, jedenfalls ist die gehörte Sonate ein hinreißendes Stück Wiener Klassik mit geistreichen Dialogen zwischen den Violinen Fischers und Neudauers, melancholischem Mittelsatz, spieldosenhaftem Menuett und musikantisch aufgespieltem Presto-Finale.
Nachdenkliche Töne, die Raum geben, über den Anlass dieses Konzerts nachzudenken, kommen mit Schubert auf die Bosco-Bühne. Adrian Oetiker spielt die letzten beiden der Drei Klavierstücke (D 946) von Franz Schubert. Das erste ist ein intimes Werk in Es-Dur, das nur auf den ersten Blick unschuldig wirkt. In Wahrheit ist es diese vordergründige Naivität, hinter der die Katastrophe lauert, in Form tragischer, eingeschobener Episoden. Oetiker interpretiert die mäandernden Schubert-Dramen mit ausgesuchter Anschlagskultur und ohne das expressive Moment zu übertreiben. Man spürt in jedem Takt die Doppelbödigkeit, sodass auch der strahlende C-Dur-Schluss des zweiten Stücks mit Zweifel registriert werden muss.
Ohne solche Zweifel kommt dagegen das erste der Duos concertants (Opus 57) des belgischen Romantikers Charles-Auguste de Bériot aus, in dem die beiden Geigerinnen ihre Virtuosität zeigen können, ihre Stärken, aber auch ihre Unterschiede. Fischers Spiel ist souverän, jede Skala blitzt, jede Phrase singt. Neudauer reagiert aufmerksam, mit feinem Ton und introspektivem Gestus, der der Virtuosenliteratur des neunzehnten Jahrhunderts nicht ganz passt. Technisch sind beide unfehlbar, nur spielt der einen das Repertoire mehr in die Karten als der anderen. In der Schlussnummer, der Suite (Opus 71) von Maurice Moszkowski, wird viel davon durch die funkelnde Klavierbegleitung aufgefangen.
Vielleicht das interessanteste Stück des Abends: Das selten gespielte Trio für Violine, Viola (Julia Fischer wechselt hier das Instrument) und Klavier, das der gerade elfjährige Felix Mendelssohn Bartholdy zu Papier gebracht hat. Deutlich ist das Echo seiner Barock-Studien zu vernehmen. Manches klingt da noch spröde und im Wachsen, doch Fischer, Neudauer und Oetiker machen es durch engagiertes Spiel wett. Besonders das Scherzo ist ungewöhnliche Musik. Schwebende Streicherbewegungen weisen auf den späteren Scherzo-Meister und Elfenmusik-Komponisten vorweg. Dafür gibt es reichlichen Beifall aus den (jetzt wieder) voll besetzten Reihen.
Der Krieg in der Ukraine hat die Wiederkehr des Pathos im politischen Sprechen mit sich gebracht. In der Musik ist das nicht nötig, das zeigen Konzerte wie diese. Ein federleicht musiziertes Kammermusik-Programm ist ein mächtiges Zeichen gegen die Sinnlosigkeit dieses Krieges, der wahrscheinlich nicht von Gauting aus beendet werden wird. Doch umso wichtiger sind Signale, die den Protest immer wieder vernehmbar machen und den Opfern dabei konkrete Hilfe ermöglichen.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.