Nach(t)kritik
Leicht in die Nacht hinaus
Veranstaltung: Henning Sieverts: Vibes & StringsIn den frühen Achtzigern gab es eine Jazz-LP, die sogar in Teenagerzimmern hinauf- und hinuntergespielt wurde: „The Köln Concert“ von Keith Jarrett. Besonders der letzte Teil (der auf der ersten Aufnahme des Konzertes, das bereits 1975 in der Kölner Oper stattfand, fehlte) entwickelte sich zum Ohrwurm und ist vermutlich bei zwei Dritteln dieser Generation, zu der auch die Autorin dieser Zeilen zählt, noch abrufbar. Auch Henning Sieverts, der derselben Generation angehört, besaß Jarretts LP, eine seiner ersten Jazz-LPs. Ihn hat Part IIc, der auf einem früheren Song Keith Jarretts mit dem Titel „Memories of tomorrow“ basiert, zu einem eigenen Stück inspiriert, das er auf seinem Gautinger Konzert zusammen mit seinem neuen Quartett „Vibes & Strings“ spielte. „Memories of C Jam“, heißt das Stück, denn auch ein anderer großer Titel ist mit eingeflossen: Duke Wellingtons berühmter „C Jam Blues“.
Und so wird das Gauting Concert ein Abend der Begegnungen mit einigen alten Bekannten und vielen neuen Momenten. „Das helle Hören“, heißt der erste Titel des Programms, er könnte wie ein Motto über den gut zwei Stunden stehen, die Sieverts mit seinen Quartettkollegen den Gautinger bereitet. Hellwach und angefüllt mit Melodien, mit Rhythmen und Motiven und im Hören bestätigt dürfen die Zuhörer in die fast schon den nahenden Frühling ankündigende Nacht gehen. Helles Hören ist ein leichtes Spiel bei so viel musikalischen Einfällen und solistischer wie ensembliger Virtuosität. Neben Sieverts am Bass zählen Gitarrist Peter O`Mara, Drummer Matthias Gmelin und am Vibraphon Tim Collins zu „Vibes & Strings“, jeder einzelne von ihnen ein Ausnahme-Musiker, der das Hören zur hellen Freude werden lässt. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wieviel Spaß es macht zwischen diesen tollen Musikern hier auf der Bühne zu stehen“, bekennt Sieverts gleich zu Beginn des Konzertes. Doch das Publikum kann es sich vorstellen - der Spaß überträgt sich eins zu eins in den Saal.
Von einer Ausnahme abgesehen, sind alle Kompositionen des Programms von Henning Sieverts. Neben der Jazzgeschichte inspirieren ihn auch Werke anderer Kunstgattungen zu seinen Stücken. So sind einige zu Bildern des Malers Hans Jürgen Kallmann entstanden, nachdem die Leiterin des Ismaninger Kallmann-Museums Sieverts bat, für die museumseigene Jazzreihe Werke des Malers in Jazztitel nachzudichten. „One for two“, heißt eines der in diesem Zusammenhang entstandenen Stücke, dem Bildportrait des Kabarettisten Helmut Qualliger gewidmet. Eine große Portion Wiener Schmäh klingt in dem im Dreivierteltakt gehaltenen Stück an, der mit einem Dialog zwischen Bass und Schlagzeug beginnt und dann bald mit Vibraphon und Gitarre einen ironischen, fast schwarzhumorigen Gesang anstimmt - Kreissler lässt grüßen.
„Baumruine“, heißt ein anderer Titel aus dieser Bild-Jazz-Reihe, wo Gitarre und Vibraphon eine märchenhaft schwebende Melodie anstimmen, die von Bass und Schlagzeug immer wieder geerdet wird. Zwischen die musikalischen Gemälde mischen sich andere Titel, wie das bluesige „Light at Night“, wo die Gitarre stellenweise wie ein Saxophon klingt.
Im beständigen musikalischen Gespräch untereinander werden die Stücke, von Henning Sieverts zuvor gedacht, auf der Bühne lebendig, fast so, als würden sie erst in diesem Moment geboren. Das Melodiöse steht dabei im Vordergrund, wird zu kleinen Geschichten, denen man gerne zuhört - wie früher eben den Märchen. Das helle Hören macht eine Tür auf in die eigene Geschichte, neu erzählt von Vibes & Strings.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.