Nach(t)kritik
Lustvoller Exzess
Veranstaltung: Schauspiel Frankfurt: Totentanz - August StrindbergStrindbergs „Totentanz“ ist der Klassiker unter allen Ehehöllen. Die Spirale der verbalen Tiraden, mit der sich die beiden Kontrahenten wieder und wieder gegenseitig hochschaukeln, ist unerbittlich, Tag für Tag, ein Vierteljahrhundert lang. Warum rauchst Du nicht. Wann gibt es Abendessen. Wenn Du willst, kannst Du sehr charmant sein, zu anderen. Bei Dir sind alle Menschen Pack, nur Du nicht. Aus dem Tanzen bist Du doch raus, genauso wie ich. Essen wir bald. Man gähnt nicht in Gegenwart seiner Frau. Gemaule, Gestichel, Gezeter, Geschrei, Gewalt. Strindberg wusste, wovon er schreibt, er hatte bereits zwei gescheiterte Ehen hinter und noch eine vor sich. Der Kampf der Geschlechter war das Thema, von dem er geradezu besessen war.
Das Großartige an Daniel Foersters Inszenierung des Stücks ist es, dass man es bis ins kleinste Detail verstehen würde, selbst wenn die Darsteller kein einziges Wort von Strindbergs Text sprechen würden. Der Regisseur, Jahrgang 1986, macht aus dem psychologischen Kammerspiel eine grausam-groteske Horror-Show voller Musik, Tanz und Körperlichkeit, inklusive Blut und Porno, Schlachtermesser und Tortenschlacht. Das alles aber ohne das Stück zu zerstören, ganz im Gegenteil.
Strindbergs Vorgaben sind an Symbolhaftigkeit kaum zu überbieten. Ein Paar lebt seit einem Vierteljahrhundert in seinem Ehegefängnis: auf einer Insel, in einem Turm, der tatsächlich ursprünglich als Gefängnis diente. Mit allen anderen Bewohnern der Insel ist man latent verfeindet, vom gesellschaftlichen Leben deshalb ausgeschlossen. Die Ungleichheit der Ehepartner ist erbarmungslos, er Hauptmann und Kommandant einer Festungsartillerie, sie eine ehemalige Schauspielerin. Er im Stechschritt, sie im lasziven Tanzschritt. Jeder für sich gefangen in seinem eigenen Unglück und beide zusammen gefangen in nicht enden wollenden Konflikten, die zugleich als zäher Kitt ihrer Beziehung dienen. Soll man die bevorstehende silberne Hochzeit feiern, soll man warten bis einer stirbt, soll man sich endlich, endlich trennen oder soll man sich gleich umbringen? Foerster lässt das Stück von einem echtem Ehepaar spielen, Constanze Becker als Alice und Oliver Kraushaar als Edgar schenken sich buchstäblich nichts. Michael Benthin kommt in der Rolle von Kurt als dritter in diese Ehehölle und erlebt nahezu umgehend und stellvertretend für alle mit körperlichem Schmerz das vergiftete Klima: „Was geschieht hier? Es riecht wie giftige Tapeten und man wird krank, wenn man nur hereinkommt … Hier wird so gehasst, dass man kaum atmen kann.“ Psychologische Raffinesse entsteht durch die von Foerster hinzugefügte Rolle der Tochter Judith: Alexandra Lukas muss mal als eherettendes Bienchen hin und her schwirren und mal als Erfüllungsgehilfe für den Liebeshass fungieren, dann wieder bleibt sie ein nicht zu greifender, aber dennoch höchst eindrücklicher Geist, eine Art Geschmacksverstärker der seelischen Grausamkeiten.
Die Figuren agieren vor einer fahlgrauen Wand (Bühnenbild: Julia Scheurer), die als Tafel im Kinderzimmer bemalt werden kann, ebenso kühler Salon wie kaltes Verlies ist und schließlich als Schlachtfeld verwüstet wird. Gezeichnet oder vielmehr überzeichnet wird mit den Kostümen (Ellen Hofmann): Edgar ist halb Harlekin und halb Soldat in seinem Strampelanzug mit Rautenmuster und goldbetresster Hose. Seine Farbe ist das Rot, Rot wie die Macht, wie die Liebe und wie der blutige Tod. Alice ist halb Hexe, halb Vamp. Ihre Frisur eine Waffe, ihr Kleid in kaltem Lila eine erotische Provokation. Ihre Unschuld bekommt sie nicht zurück, als sie es – mit Blut und Sperma besudelt – gegen ein weißes Brautkleid austauscht. Kurt steht zwischen den beiden, er ist buchstäblich zweigeteilt wie sein greller schwarz-grüner Anzug. Und Judith trägt ein gelbes Hängerchen mit schwarzer Spitze, dass sie zur Monsterpuppe macht. Jedes der Kostüme ist ein Statement, und doch agieren die Schauspieler wie nackt, bis an die Schmerzgrenze und oftmals auch darüber hinaus. Foerster will, dass sie spielen. Und sie spielen. Die Szene, in der das Paar ein rohes Eigelb von Mund zu Mund hin und her gibt, bis es zuletzt zerplatzt und Alice aus den Mundwinkeln herausrinnt, ist ebenso intim wie ekelerregend. Verzerrte Gesichter, zerfließende Schminke, verrenkte Körper, Anfälle und Attacken, dann wieder laszives Miteinander, qualvolle Nähe. Es ist ein lustvoller Exzess. Großes Gemetzel, große Schauspielkunst.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.