Nach(t)kritik
Mahlzeit!
Veranstaltung: Schlachtplatte: Die Jahres-Endabrechnung 2021Eine Schlachtplatte ausgerechnet im Veganuary anzubieten, zeugt nicht nur von Chuzpe, sondern offenbart auch eine sehr große Lust an der Provokation. Genau das macht gutes Kabarett aus. Wenn dann in erster Linie zum Lachen provoziert wird, dann ist es mehr als gelungen. Schlachtplatten-Chefkoch Robert Griess, der dieses kabarettistische Menue erfunden hat und in seine Küche jedes Jahr andere Kolleginnen und Kollegen zum Mitkochen bittet, hat in Gauting (nicht nur) für dieses Format längst sein Stammpublikum. Neben Griess am Herd standen am Samstagabend Dagmar Schönleber, Henning Schmidtke und Sebastian Rüger, ein hochkarätiges Team aus Pointengourmets und Edelzungen.
Heuer ist die Jahres-Endabrechnung mit Schlachtprodukten aus den wichtigsten Themen 2021 nicht nur aus Gründen der umsichtigen Ernährung eine besondere Herausforderung. „Let´s make Live-Kultur great again!“ lautete darum auch das Motto, das gleich zu Beginn des Abends stand und das Publikum gleich darauf einstimmte, aus den 25% gestatteter Anwesenheit gleich viermal so viel Begeisterung und tragfähigen Applaus zu gestalten. Beim Spiel des FC Köln gegen die Bayern nur wenige Stunden davor sei die Stimmung nicht mal halb so gut gewesen, sagte Griess.
Der Rückblick auf das Gesamtkrisenjahr 2021 zeigte dann sehr rasch, dass der Eindruck, es sei nur ein Aufguss des ersten Coronajahrs 2020 gewesen, ein falscher ist: es gab sehr viel Einmaliges im zurückliegenden Jahr. Die USA ohne Trump (und dann doch wieder mit ihm), das Ende der Ära Merkel, das Entstehen der neuen Ampel-Koalition und das immer befremdlicher werdende Auftreten einiger höchst seltsamer Mitmenschen samt ihren kruden Theorien. All das bot ausgezeichnete Zutaten für die „Schlachtplatte“, die das kulturhungrige Publikum nicht nur satt, sondern auch glücklich machte.
Allein das Thema „16 Jahre Merkel sind vorbei“ ließ sich wunderbar ausschlachten. Der Gruselklassiker „Merkels Männerfriedhof“ beispielsweise, auf dem Friedrich Merz als Untoter herumgeistert oder die Überlegung, dass sich 16 Jahre Merkel in 32 Lockdowns umrechnen lassen, wurden schließlich getoppt vom finalen Zapfenstreich, bei dem die vier auf der Bühne noch einige fehlender Titel als Quartett ergänzten: „Hey, hey, Mutti“ im Wicki-Sound, die tragische Ballade mit dem Refrain „It seems to me, you lived your life like a Fähnchen in the wind“ oder der im unverfälschten Grönemeyerisch hingenuschelte Klassiker „Merkel“ (ganz ohne „ist auf dieser Welt einfach unersetzlich“).
Natürlich gab auch der zurückliegende Wahlkampf mit seinen Themen einiges her. Das Augenmerk auf die Ökologie beispielsweise rief die Schlachtplatte-Old Stars auf den Plan und ließ sie mit Songs aufwarten wie jener von der Band Revolverheld, die jetzt aus Gründen des Pazifismus Platzpatronen heißen: „Ich mach für dich das Licht aus“, um Strom zu sparen, oder Helene Fischers Klassiker „Abfalllos, unverpackt“, der das Zeug dazu hat, zur neuen Hymne der Ökobewegung zu werden.
Jeder, jede der vier bringt in Solonummern seine, ihre besonderen Zutaten mit ein. So ist Dagmar Schönleber mit ihrem Empowerment der Pfeffer in der Schlachtplatte, wenn sie im Stil von Scooter per Rapsong fordert: „Mehr Frauen in die Vorstände“, denn: „Wir sind Macker!“ Sebastian Rüger legt eine großartige, detailfreudige Trump-Parodie hin und lässt den incognito sein Comeback Vorbereitenden über die Gefahr von „Erdbeeren“ schwadronieren, die „schwere Allegorien gegen Nüsse“ auslösen können. Henning Schmidtke ist der Poet in diesem Quartett, der am Flügel feine Wortspiele in Chansonform präsentiert. Und Robert Griess spießt immer wieder politische Petitessen aufs Pointenmesser, um sie mit viel satirischer Freude zu zerlegen und anzubieten. Eine Schlachtplatte, die nun doch sehr gut in den zum Veganuary erklärten Jahresbeginn passt: sehr bewusst, sehr frisch und absolut knackig.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.