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Nach(t)kritik

Do, 11.01.2024
20.00 Uhr

Manifest der Alltäglichkeiten

Veranstaltung: Matthias Egersdörfer: Nachrichten aus dem Hinterhaus

„Guten Morgen“ - mit einer Tasse Kaffee bewaffnet und mit gemütlichen Klamotten ausgestattet betritt Matthias Egersdörfer die Bühne, ein Tisch mit Stuhl davor und einem Telefonhörer darauf machen das Bild komplett: wir sind eingeladen in seinem Wohnzimmer, im 2. Stock im Hinterhaus, wo Matthias Egersdörfer seit über 18 Jahren wohnt. Er habe sich überlegt, was er vortragen könnte, wenn endlich so viel Besuch vorbeikommt wie an diesem Abend, dann habe er beschlossen etwas zu schreiben, was er vortragen wolle, zuerst dachte er dabei an einen Roman, dann aber sei er auf die Idee gekommen, ein Manifest zu verfassen. Und dieses stehe den großen Manifesten von Marx und Engels bis hin zu Gropius in nichts nach. Doch als er beginnen möchte, sein „Manifest des idealen Sonntags“ vorzutragen, unterbrechen ihn immer wieder eigene Gedanken, die nervigen Nachbar*innen oder gar die eigene Mutter und lassen ihn in die Beobachtungen von Alltäglichkeiten abschweifen.

Dabei benutzt Matthias Egersdörfer neben einem Soundboard, mit dem er die Geräusche und Stimmen seiner vermeintlichen Nachbar*innen abspielt, auch eine aus Sperrmüll selbst gebastelte Handpuppe seiner Mutter, mit der er hitzige Streitgespräche führt und deren teils sehr veraltete und strenge Ansichten er immer wieder auffängt und einordnet, nachdem er sie mithilfe der Puppe reproduziert hat; wenn sie ihn nervt, dann muss die Mutter wieder zurück in die kleine Tasche neben dem Tisch. Dabei erinnert er sich an seine Kindheit, und sofort entspinnen sich wahnwitzige Erzählungen von Italienreisen in vollgestopften Autos oder von halswürgenden Affen. Aber auch andere Rätsel des Alltäglichen beschäftigen Matthias Egersdörfer, etwa die Frage, wie man überhaupt so viele Krimis schauen könne, das muss doch nach spätestes drei, vier Mal erledigt sein, die seien doch alle gleich (ein Kommissar stelle immer wieder schlaue Fragen, auf diese er saudumme Antworten bekäme, dann kratze die Spusi etwas im Blut herum und wisse dann „der Gruber wars, die Drecksau“) - besonders lustig, dies von einem Tatort-Schauspieler ausgeführt zu bekommen.

Matthias Egersdörfer zeigt sich dabei äußerst sprachgewandt und zitiert gerne aus der großen Literatur und anderen Manifesten, philosophiert über Alltagsbeobachtungen oder hängt sich an Kleinigkeiten auf - dies alles auch auf eine äußerst derbe Weise und oft auch in sehr grober Sprache. Dies gefiel wohl nicht allen, bereits während der ersten Hälfte leerte sich der Saal, nach der Pause waren einige Leute weg. Dies kommentierte Matthias Egersdörfer nur lässig mit den Worten „paar hat’s aus der Kurven rausghaut“ und weiter ging’s mit der tatsächlich etwas kurzweiligeren zweiten Hälfte, in der deutlich Fahrt aufgenommen wurde, über Arschlöcher im Allgemeinen philosophiert wurde und auch endlich das Manifest vorgestellt werden konnte.

Der Abend polarisiert und lässt einen ambivalent zurück. Insgesamt waren die thematischen Grundlagen des Programms erfrischend modern und sich mit dem Zeitgeist mal konstruktiv kritisch, mal verständnisvoll aufgeschlossen befassend, umso mehr fehl am Platz wirkten dadurch einige seltsame Vergleiche wie etwa der der Denk- und Lebenswelt von Frauen mit der von Tiefseefischen in den unergründbaren Tiefen des Meeres. Matthias Egersdörfer selbst beweist sich als überaus gekonnter Sprachakrobat und führt größtenteils ein ohne Frage sehr intellektuelles Programm vor, was teilweise fast an ein Schauspiel erinnert. Vielleicht hätte der wilde Wechsel von kurzen Pointen und den tiefen Ergründenden lyrischer Ausführungen oder philosophischer Gedankenketten aber kurzweiliger gewirkt, wäre das Programm nicht so ausschweifend und dadurch an einigen Stellen auch anstrengend lang gewesen.

Amos Ostermeier, 12.01.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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