Nach(t)kritik
Meerschweinchenerdbestattung
Veranstaltung: Claudia Pichler: Eine Frau sieht weißblauLieb sein allein genügt nicht, es ist manchmal sogar gänzlich fehl am Platze. Wenn das, was die gebürtige Münchnerin Claudia Pichler am Donnerstagabend im bosco ablieferte, Kabarett sein soll, dann haben Generationen von Kolleginnen und Kollegen der gleichen Sparte ihren Beruf missverstanden. Der Programmtitel der in Aubing aufgewachsenen jungen Dame, Jahrgang 1985, hatte ja noch gewisse Resthoffnungen am Leben erhalten: Ihr Versprechen „Eine Frau sieht weißblau“ wirkte - in Anlehnung an den Charles-Bronson-Klassiker „Ein Mann sieht Rot“ – wie eine Ankündigung, dass da eine Frau ordentlich aufräumen würde mit dem immerwährenden politischen Saustall im Freistaat. Was Pichler dann aber in rotkäppchenroter Unschuldstracht zu bieten hatte, war an bierzelttauglicher, letztlich mit allem einverstandener Harmlosigkeit kaum zu toppen. Die hierbei eingenommene Grund-Pose, um nicht zu sagen Masche der 38-Jährigen, ist die des braven Mädels von nebenan, das es angeblich faustdick hinter den Ohren hat, in Wirklichkeit aber alles unangetastet lässt, was das Leben im weißblauen Biotop so alles an Zumutungen bereithält: Zur Masken-Dealer-Gier einer Andrea Tandler und deren „Vermittlerin“ Monika Hohlmeier fällt ihr nicht mehr ein als „Jetzt übernehmen die Töchter!“ - Pointe gesetzt, Fall erledigt, keinerlei Differenzierung des Skandals. Wozu auch, wenn man sich als Wies’n-Moderatorin für „münchen tv“ gleich wieder der Binsenweisheit zuwenden kann, dass zu viel Bier-Konsum gar nicht guttut – ach was?
Claudia Pichler, die immerhin mal an der Ludwigs-Maximilians-Universität Neuere Deutsche Literaturgeschichte studiert und angeblich eine Abschlussarbeit über die Sprache bei Gerhard Polt geschrieben hat, schafft es bei diesem Thema tatsächlich nicht über zwei ihrer erklärten Lieblingstrinksprüche hinaus: „Duck di, mei Sei – a Platzregn kummt!“ sowie „Heit werd d’Feierdog-Guagl eighängt.“ Wäre man jetzt im Bierzelt, würde es wohl zwei Pointen-Tusche geben. Auf dieser Flughöhe geht es dann leider weiter mit dem „Kabarett“: Eine gesungene Hommage an „Essigessenz“ deutet wenigstens das Sprachtalent Pichlers an und nimmt endlich auch mal so etwas wie eine Außenseiterperspektive ein, ansonsten aber: gefälliger Mainstream, über dessen laue Witzchen ein jeder schmerzfrei lachen kann, wenn der Horizont halt nur weiß-blau genug gefärbt ist.
Als ahne sie selber, was sie da treibt, sagt die liebe Claudia zwischen-durch, sie spiele gerne an Orten „mit weniger Fluchtmöglichkeiten fürs Publikum“, etwa im Frauengefängnis Aichach. Es sollte der einzige Moment des Abends bleiben, der inmitten all der Soße ein wenig Abgründigkeit, ein bisserl Sarkasmus hatte. Sprachetymologisch ging´s nämlich weiter mit Betrachtungen, warum es tagsüber in Bayern DER Weizen und DAS Korn heißt und nach 18 Uhr dann DAS Weizen und DER Korn – wie gesagt, bierzelttauglich. Pichler reiht sich offenbar gerne ein in die Riege der ewigen Dimpfl. Konsequenter Weise wird die eigene Schwester, anscheinend Tierheilpraktikerin, mit sanftem Esoterik-Bashing bedacht, weil derlei Öko-Zeug ja nicht wirklich ernstgenommen werden kann in Bayern. Pichler ist für „Meerschweinchenerdbestattung“ und wendet sich lieber einer kleinen Fantasie zu, was denn so an einem Sonntagvormittag im verwaisten „EDEKA“ los ist, nämlich „Liebe im Vollsortimenter“: Alois Brummer, Fleischfliege, treibt´s mit Fruchtfliege Jessica in der Obst-Abteilung, mit Folgen für die Warenqualität – Mahlzeit!
Nach der Pause dann ein paar Aspekte zum Thema „bezahlbarer Wohnraum“. Die Claudia („Ich bin eher der häusliche Typ“) teilt angeblich weiterhin das Bett mit einem seit sechs Jahren verflosse-nen Wiener, der keine neue Bleibe findet – soll vorkommen, na und? „Urban Gardening“ mit Mähroboter und Luxusgrill im noblen Haidhausen betreibt sie aber auch, so schlimm kann es also gar nicht stehen. Ein neuer Partner vielleicht? Pichler graust es vor dem obligatorischen Kennenlern-Essengehen – was man da alles falsch machen kann! Man fragt sich dennoch, ob das nun leicht zugespitzte Details aus Pichlers echtem Leben sind oder getunte Möchtegern-Pointen? Abgegrast sind solche Dinge längst, und zwar seit zirka 20 Jahren, von anderen Kabarettisten. „Herr, Hilf!“, möchte man an dieser Stelle des vollkommen belanglos dahinplätschernden Abends rufen, und prompt kommt noch ein „Wunschzettel ans Universum“, bei dem man nicht weiß, was der nun wieder soll – originell ist das kein bisschen, eher wieder rotkäppchen-naiv, und alle werden ihre Claudia bestimmt wieder lieb haben. Auf einer Kabarett-Bühne hat das, bei aller Liebe, nichts verloren.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.