Nach(t)kritik
Mensch Christian
Veranstaltung: Christian Springer: Oben OhneAm Ende tritt wieder der Mensch hervor: Christian Springer hat gerade mehr als zwei Stunden lang sein Kabarett-Programm „Oben ohne“ absolviert und dafür viel Applaus bekommen, als er sich noch einmal ans Publikum wendet, ebenfalls ungeschützt. Mit erst leiser, dann stetig anschwellender Stimme spricht er über das zerstörte Syrien, 13 Millionen Flüchtlinge und darüber, wie gut es uns geht in Deutschland. Springer kennt nicht nur sein Land, er weiß auch, wie es in Flüchtlingslagern im Libanon, im Irak und Jordanien aussieht. Der Gründer der Syrien-Hilfe ist zwei, drei Mal im Monat in Beirut und leistet dort mit seinem gemeinnützigen Verein praktische humanitäre Hilfe – doch wenn er wieder in seiner Heimat ist und „damit Geld verdienen darf, Politiker zu verspotten“, zerreißt es ihn fast wegen dieser Kontraste. Dann sprudelt es aus ihm heraus, und er wendet sich auf offener Bühne an die Politiker der Welt und an die Leute, die solche Politiker wählen. An diejenigen, die eine Politik zulassen, die das Elend der Syrer verursacht, und an jene, die sich hierzulande angesichts der dramatischen Folgen abwenden, als ginge es sie nichts an.
Christian Springer hat seine Rolle als Kabarettist ein gutes Stück weit verlassen, seit „Syrien“ auf der Tagesordnung steht: Auch in Gauting ist von Anfang an zu spüren, dass sein Furor trotz hoher Pointendichte und wüster, auf die Spitze getriebener Szenarien ernst gemeint ist – nur so scheint dem im Eisenbahner-Viertel Berg-am-Laim gebürtigen Münchner offenbar noch erträglich, was er da an Weltbeschreibung liefern muss. Aus der chronischen Abneigung Bayerns gegen die Energiewende konstruiert Springer die haarsträubende Legende eines Märtyrers namens „Windradl“, und Seehofers sture „Obergrenzen“-Rhetorik in der Flüchtlingsfrage animiert ihn zu einem persönlich an den Ministerpräsidenten adressierten 80-Seiten-Brief, aus dem er im Laufe des Abends mehrfach mit glühendem Eifer zitiert und den er mittlerweile in Buchform verkauft. Da ist längst kein „Fonse“ mehr, dieser vergleichsweise gemäßigt vor sich hin grantelnde Kassier von Schloss Neuschwanstein aus Springers früheren Programmen: Die Entwicklung der Dinge scheint ihn heraus katapultiert zu haben aus der Hintergründigkeit, in Richtung einer deutlicheren Ansprache. Den Irrsinn der heutigen Zeit abzubilden, indem er sich seine eigene, absurde Geschichte zurecht- fabuliert, das ist eines der Stilmittel bei „Oben ohne“ – die atemlose Aufgeregtheit dazu ein weiteres: Da steht also einer, der die Welt nicht mehr versteht, aber so tut, als könnte er alles erklären und relativieren – Springer führt uns die Ratlosigkeit der Neuzeit unvergleichlich geschickt vor. Und als darüber Klage Führender ist und bleibt er im Wortsinne unerhört.
„Das werden mir meine Kollegen wieder nicht glauben“, sagt er spontan, als sich von der Decke des Bosco-Saals mitten im Auftritt tatsächlich eine Spinne an ihrem Faden abseilt – auch dieses kleine „Wunder“ macht ihn staunen und wird wohl einmalig bleiben. Wenn Springer schließlich den „kabarettistischen“ Teil des Abends für beendet erklärt und als Zugabe eine Art Predigt hält, die uns die Kostbarkeit des Lebens in Erinnerung ruft, dann steht da einfach jemand, der nicht anders kann. Mehr Authentizität geht nicht.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.