Nach(t)kritik
Mit Sternen jonglieren
Veranstaltung: Theater Kunstdünger: "Aus heiterem Himmel" nach einer Geschichte von Jon KlassenSo ist das doch oft: gerade noch fühlt man sich pudelwohl dort, wo man gerade ist. Und dann passiert etwas, womit niemand gerechnet hat. Mitten hinein in das pure Glück fällt ohne Vorwarnung etwas Schweres, Großes, Böses. Und alles ist auf einmal ganz anders.
Da ist die Schildkröte, die in den Regen gerät. Als sie ihre nassen Kleider trocknen will, ist da, wo diese hängen, jemand anderes. Ein Wesen, das in den Schuhen der Schildkröte steckt und ihre Jacke trägt. Das sich einen Platz neben der Schildkröte sucht und diesen behauptet. Das auf einmal in der Nähe der Schildkröte ein ganz ungutes Gefühl hat. Und als die Schildkröte ihren Lieblingsplatz aufgibt und sich zu dem Freund gesellt, in genau diesem Moment fällt ein riesiger Felsbrocken vom Himmel. Was wäre gewesen, wenn sie dort geblieben wäre?
Und was würde geschehen, wenn neben den Freunden auf einmal kein Platz mehr wäre für jemand dritten? Für die Schildkröte? Soll sie fortgehen und nie mehr zurückkommen? Oder soll sie die böse, blinkende Spinne auf die Freunde hetzen? Wie viel besser wäre es, mit den Sternen zu jonglieren und auf den Augenblick zu vertrauen, der noch immer die beste aller Möglichkeiten bietet.
„Aus heiterem Himmel“ heißt die Geschichte, die Christiane Aahlhelm mit dem Theater Kunstdünger den Gautinger Kindern erzählt. Vielmehr: die sie ohne viel Worte spielt. Wunderbar poetisch und geheimnisvoll ist diese Theaterproduktion, die zunächst sehr still und in großer Ruhe beginnt und die staunend zuschauenden Kinder mit ungewohnten Momenten und Bildern konfrontiert. Da ist zunächst die Schildkröte allein, die Christiane Aalhelm mit Skaterhelm und Trikotkleidung als einen der ihren erkennbar gestaltet: ein Kind, das sich seinen Raum erobert und das in allem etwas Geheimnisvolles entdeckt. Nach und nach erwachen die Gegenstände ringsherum zum Leben und mischen sich ein. Die umgedrehte Bierbank mit den dort aufgesteckten Kleidungsstücken, die Stehlampe mit den über den Lampenschirm gezogenen Stulpen werden lebendig und gesellen sich ins Spiel hinein. Und gerade, als die Publikumskinder sich ausschütten vor Lachen über die lustigen Situationen, fällt „aus heiterem Himmel“ ein großer Felsbrocken mitten hinein in dieses Spiel und fordert ein Umdenken, eine Neuorientierung von Spielerin und vom Publikum. Diese Interaktion, mit wenigen, sehr bildnerischen Mitteln herbeigeführt, lässt die poetisch bezaubernde Geschichte sich immer wieder wandeln in eine Geschichte über die Gegenwart von Kindern. Denn auch dort ändern sich die Situationen „aus heiterem Himmel“. Auch dort fühlt sich eines erst sicher im Kreis der Freundinnen und Freunde - und schon wenig später ausgeschlossen. Auch dort gibt es immer die Wahl zwischen Aggression und Versöhnung.
Und so endet die Geschichte mit dem poetischen Bild des Sternenhimmels, der jenen, die es sehen können, einen Ball zum Spiel anbietet. Wenn das kein heiterer Himmel ist.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.