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Nach(t)kritik

Do, 08.12.2016
20.00 Uhr

Mit Unschuldsmiene

Veranstaltung: Sarah Hakenberg: Nur Mut!

Von wegen „unpolitisch“: Als Sarah Hakenberg bei ihrem mittlerweile dritten Gastspiel im bosco das Lied vom „Kinderfest der NPD“ trällert, wird es mucksmäuschenstill im Saal. Das Publikum spürt offenbar, dass ein solches Szenario in Deutschland nicht mehr gar so absurd ist, wie es sein sollte. Und die am Klavier vorgetragene unschuldig daher kommende Melodie transportiert noch mehr, nämlich den Subtext der Harmlosigkeit. Die Künstlerin singt: „Wer bringt kleine Germanen / in die rechten Bahnen?“ Als das laut Hakenberg „aktualisierte“ Lied vorbei ist, atmen einige erst mal durch. Schön gereimt wieder mal, aber auch Unangenehmes beim Namen genannt, puh! Es war schon bei ihren Programmen „Fleischhauerball“ (2014) und „Struwwelpeter“ (2015) Sarahs Metho-de, Makabres und allerlei Undenkbarkeiten entweder zuckersüß zu verpacken oder sie mit hoher sprachlicher Treffsicherheit am Zeilenende zu servieren. Diesmal trägt ihr „sehr neues“ Programm den Titel „Nur Mut“ (anscheinend ohne Ausrufezeichen) und beschäftigt sich mit zeittypischen Ängsten und Therapien dagegen: „Ich selber hab´ja Angst vor Spinnen“, bekennt die im oberbayerischen Zorneding Aufgewachsene und stellt erst mal Konsens her – haben ja viele. Dann kommen die ausgefallenen Phobien an die Reihe, wie etwa die Angst vor Flöten („Aulophobie“) oder gar die vom amerikanischen Cartoonisten Gary Larson als Zeichnung verewigte Angst, irgendwo von einer Ente beobachtet zu werden („Anitadaephobie“). Hakenberg spricht von „Konfrontationstherapie“ und streut immer mal wieder ein, dass im Grunde alles heilbar sei, man muss es bloß angehen.
Dass die Kabarettistin gerade sichtbar ihr zweites Kind erwartet, legt ihr thematisch auch ein paar ganz gewöhnliche Ängste nahe – zum Beispiel die Überfürsorglichkeit von Eltern. Hakenberg reimt im Lied dazu passender Weise „Helikopter“ auf „noch bekloppter“, auch hier kriegt sie oft erst in der letzten Zeile die Kurve. Ganz großartig ist die Nummer vom fehlgeprägten Zweijährigen, den ein geschenktes „Schalke“-Trikot auf die schiefe Bahn bringt: Die werdende Mutter, die heute „im südöstlichen Westfalen“ zu Hause ist, löst das Problem im Song durch eine schwarz-gelbe Gegenoffensive des Schenkens. Das wirklich atemberaubende Reimpaar dazu: „Dortmund / Hort-Hund“, der wird nämlich auch mit einem Borussia-Trikot bedacht. Ja, und dann erklärt Hakenberg den Leuten noch am Piano sitzend, warum eine absteigende Tontreppe manchmal eine besonders traurige Erscheinung abgibt: „Ist doch ganz einfach – a – f – d!“ Damit wäre sie wieder bei den gesammelten irrationalen Ängsten angekommen, zu denen auch die Xenophobie zählt, die Angst vorm Fremden. Nein, bei aller Unschuldsmiene der Künstlerin: Sie hat es politisch faustdick hinter den Ohren und bekanntlich auch schon mal völlig inkorrekt vom „Hündchen lynchen in München“ gesungen - dampfende braune Haufen kann sie partout nicht ab.
Hakenbergs „Methode“ ist es gerne, „von hinten durch die Brust ins Auge“ zu treffen; sie kann aber auch, ganz direkt und ohne ironische Doppelbödigkeit, im Zeitalter des Duck-mäusertums dazu auffordern, den Mund aufzumachen, wenn einem etwas gegen den Strich geht – nun ja, als erster Schritt von vielen zum Beispiel, „wenn einen der Friseur verschandelt hat“. Sie kann langsam wirkendes Gift in einen „anteilnehmenden“ Song über ihren Ex-Freund träufeln, der eine Andere geschwängert hat, sie kann ihre eigene Hochzeit bis ins Detail vorausplanen und dann wie ein heraufziehendes Gewitter davon singen, wie das mit dem Heiratsantrag schiefgeht. Das Publikum ist sehr dankbar für diese aus dem Leben gegriffenen Abgründe, sie sind vielleicht sogar die wahre Therapie: Die abstrusen Ängste der Anderen bedeuten schließlich eigenen Lustgewinn. Nur Mut!

Thomas Lochte, 09.12.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 08.12.2016 | © Copyright Werner Gruban, Theaterforum Gauting