Nach(t)kritik
Modrige U 30-Weisheiten
Veranstaltung: Das Ding ausm Sumpf (DAS DAS): RaumzeitDer Typ, den sie irgendwann „Das Ding ausm Sumpf“ nannten, hat jetzt angeblich kürze-re Haare als früher im Bayerischen Wald. Offenbar hat es dieser Stefan Mühlbauer alias "Franz Brenninger" aus dem Wald heraus geschafft und durch VWL-Studium zum Diplom-Ökonom gebracht. Weil ihm aber die Jugend im Grenzgebiet auch weiterhin irgendwie nachhängt, taufte er auch seine HipHop/Spoken Word-Formation „Das Ding ausm Sumpf“, und so nahm das Verhäng nis seinen Fortgang: "Brenninger" ist inzwischen um die 30, sagt über sich selber, er sei „ein alt gewordenes Kind“ und fängt an, mit halbstarkem Sprechgesang Bühnen unsicher zu machen. Doch ganz so schlimm war der Auftritt in boscos Vielklang-Reihe nun auch wieder nicht, trotz solcher Zeilen wie: „Ich bin gekommen, um noch viel, viel weiter zu gehen...“ Nun ja, "Brenninger" war immerhin erkältet und auch der bandeigene Tonmischmann muss schon bessere Tage erlebt haben – jedenfalls verstand man erst mal Bahnhof bei all diesen schwer bedeutsamen U 30-Botschaften, was wiederum Sumpf-Chef Mühlbauer dazu nutzte, für die neue CD zu werben: „Da kann man die Texte noch mal auf sich wirken lassen.“
Die Mitsumpfer Cop Dickie (E-Bass), Debütant Ben Meyer an den Drums und ein Gitarrist namens Christian Neubauer, den Brenninger ständig als „Chris“ anredete (Stammbesetzung Amadeus Gregor Böhm war´s also gar nicht), sie sorgten im „Zusammenspiel“ mit der Formkrise des erwähnten Mixers dafür, dass man eher dem durchaus knackigen Sound lauschte als der Nabelschau-Lyrik ihres Frontmanns – der muss, wie sich für den offenbar schwerhörigen Senioren-Rezensenten erst beim Nachlesen herausstellte, tatsächlich auch Zeilen von sinnfreier Schönheit im Repertoire gehabt haben – etwa: „Es gibt es nichts mehr zu sagen, weil alle Bäume gefällt sind.“ Da muss jemand was mit ´ner Försterin gehabt haben, aber die Sache ging ja sowieso schief. Brenninger hat trotz VWL-Studiums den großen Heiner Müller als eines seiner Vorbilder benannt, und sein Song-Kompromiss mit dem Titel „Entscheidung“ dreht sich dann in kurzatmigen 100 Sekunden um Profitmaxi-mierung und andere Weichenstellungen im Leben – da hören die anderen VWLer/innen ganz ergriffen zu. Der Mann aus dem Bayerischen Wald aber erklärt sich in einer anderen Nummer für „unverkäuflich“, und das lässt hoffen.
Dass man heutzutage auf gescheiterte Beziehungskisten auch mit HipHop reagieren kann, mag der Tiefe des Dramas vielleicht nicht so gerecht werden wie die suizidale Prosa eines Leonard Cohen, doch hat es unbedingt Charme, wenn die Verflossene Kernpyhsikerin in CERN war und man ihr auf der letzten Fahrt nach Genf die Worte zurufen kann: „Jede Minute mit Dir / So muss sich ein Kreis fühlen, der zur Kugel wird...“ Ja, da wird zweifellos eine Menge Energie frei gesetzt. „Das Ding ausm Sumpf“, es bleibt alles in allem ein recht sympathisches, harmloses Monster, ganz ohne den grünen Sumpf-Glibber aus dem berühmten Horror-Film. Es ist sogar – immerhin um die 30! - auf dem Weg zur Nachdenklichkeit, mit einem Schuss Dada bei seinem Song "Im Restaurant": „War das, was wir hatten / nie das, was wir dachten / oder haben uns die Jahre zusammen zu Fremden gemacht?“
Wenn Brenninger & Co. während ihrer „Raumzeit-Tour“ noch ihre etwas bemühten Animierversuche beim Publikum weg lassen und den Tonmenschen auf die Transfer-Liste setzen, können das künftig noch ganz originelle Konzerte werden. Wir 60-jährigen haben ja auch länger gebraucht...
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.