Nach(t)kritik
Nach Hause, über alle Grenzen hinweg
Veranstaltung: Hania Rani: HomeEin im Nebel versunkener Ort stand am Anfang dieser Musik gewordenen Erzählung, deren Zuhörerinnen und Zuhörer am Freitagabend ins bosco gekommen waren. Irgendwo in der Tiefe lag dieser Ort, ein paar Wärme verheißende entfernte Lämpchen erzählten von ihm. „Home“, Zuhause. Aus weiter Ferne hat Hania Rani sich dorthin auf den Weg gemacht, ihre Vehikel waren die Klänge aus elektronischen und akustischen Tasteninstrumenten, die sie zu Flügeln werden ließ. Ein ganzer Saal fand darauf Platz und flog mit, aus weiter Ferne nach Hause, aus den Tiefen einer epischen Geschichte zurück dorthin, wo alle Abenteuer ausklingen und beim Schein der warmen Lampe angehört werden.
„Musik ist mein Weg der Kommunikation“, sagt Hania Rani, „für mich ist Kunst, Musik ein Ganzes ohne Grenzen, Unterscheidungen oder auch Genres.“ Roman, Film, ein Bild, Klänge und Tanz - all das fand auf der Bühne zueinander. Wie ein Brennglas zoomte zu Beginn des Konzerts ein Spot die schmale, in Schwarz gekleidete Künstlerin heran, die zunächst mit dem Rücken zum Publikum zwischen Flügel, Piano und Keyboard letzteres bearbeitete. Fast sah es so aus, als ob eine Steinbildhauerin ihr Material bearbeitet, als ob eine Malerin ihre Farbpalette ausrichtet. Ein großer schillernder Klangteppich breitete sich aus, noch während er gewebt wurde. Ein ausgedehntes Panorama gab einen Ausblick auf die Erzählung, die nun anheben würde, ein tiefes „Es war einmal vor langer, langer Zeit…“
Irgendwann begann ein Rhythmus, das Element Zeit dem der Farben hinzuzufügen. Und noch etwas später tauchte eine Erzählerinnenstimme auf, eine einzelne, klare Stimme, die ihr Echo fand in den Figuren der Erzählung. „I sing alone“, sang Hania Rani, doch die Grenzen zwischen der Einzelnen und den vielen verschwammen nach und nach, die Klänge antworteten ihr, trugen sie, ließen sie nicht länger allein.
Klang und Zeit, Rhythmus und Licht. Licht spielt eine entscheidende Rolle in diesem Konzert. Es bündelt, richtet den Blick und schafft damit eine Perspektive. Gleichzeitig übernimmt es eine aus der Musik gewonnene eigene Erzählerstimme und berichtet von Einsamkeit, Verlorenheit im Nebel und davon, wie aus kleinen orangenen Lichtern in der Ferne Orientierung gewonnen werden kann.
In einer Gegenwart wie der unseren ist Kunst als Ganzes so ein Licht. Wieviel Bedeutung Musik angesichts der zunehmenden Verunsicherung und Bedrohung haben kann, davon zeugt Hania Ranis Schaffen, davon erzählt „Home“, ihr letztes Album, aus dem sie überwiegend spielt an diesem Abend.
„Ich glaube ganz fest daran, dass wir, auch wenn oder gerade weil wir in unsicheren Zeiten leben, ein unstetes Leben führen, wir dennoch unseren Frieden miteinander und mit uns selbst machen und überall nach Hause finden können“, sagt die Künstlerin.
Hania Rani wuchs in Gdansk auf, studiert in Berlin, ist in Warschau zuhause und arbeitet überall zwischen diesen Fixpunkten. Der Startpunkt ihrer künstlerischen Reise ist die Klassik gewesen, unterwegs hat sie alle Begegnungen aufgesogen wie jene mit Miles Davis, Nils Frahm, Radiohead oder den Beatles. Sie „mixt Chopin & Schostakowitch mit Dave Brubeck und Moderat“, sagt sie. Hinzu kommen Naturinspirationen, Wälder, Eis und Seen, Architektur und Design. All diese Sprachen übersetzt Hania Rani in die Sprache der Musik und erzählt in dieser Sprache von dem, was ihr begegnet. Und dann bringt sie es nach Hause. Am Freitagabend war das im bosco.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.