Nach(t)kritik
Nacht wird es immer
Veranstaltung: boox: »Ein Gast, zwei Frauen, drei Bücher« mit Tanja Weber und Sabine ZaplinEine Flut an Manuskripten beschert Corona Verlagen und Agenturen: Beim „Blick hinter die Kulissen“ verriet Marie Arendt, Literaturagentin bei Mohrbooks, wie der Buchmarkt funktioniert. In der neuen Reihe „boox“ gaben die Schriftstellerinnen Sabine Zaplin und Tanja Weber ihren 20 Zuhörerinnen und Zuhörern in der „Bar rosso“ auch wertvolle Buch-Tipps für den weihnachtlichen Gabentisch: BR-Literaturkritikerin Sabine Zaplin empfiehlt den München-Krimi „Betongold“ ihrer Kollegin Tanja Weber, den packenden Roman „Nacht wird es immer“ des US-Schriftstellers Willy Vlautin. Tanja Weber präsentiert die Werke von afrikanischen Autorinnen: Ihr Favorit ist der mit dem Booker-Preis geadelte Roman „Mädchen Frau etc.“ von Bernadette Efcharisto.
„Schön, dass Sie sich in diesen schwierigen Zeiten ins bosco gewagt haben“, dankt Sabine Zaplin den nach der 2-G-Regel kontrollierten Zuhörerinnen und Zuhörer mit Maske. „Ich habe Dich heute schon im Radio gehört“, eröffnet die Gautinger Autorin Tanja Weber das Gespräch. Denn als „Teazer“ hatte ihre Kollegin Zaplin auf BR 24 bereits „Oh, William!“ von Elizabeth Strout vorgestellt. Aber auch „Betongold“ von Tanja Weber: Dieser Kriminalroman, inspiriert von Zeitungsberichten über das in einer Nacht- und Nebelaktion abgerissene „Uhrmacherhäusl“ in München-Giesing sei Tanja Webers bester, findet Zaplin. Die Geschichte des Ex-Kommissars „Smokey“, der unter Morbus Bechterew leidet und deshalb mit gebeugtem Rücken auf den sich täglich verteuernden, eben goldenen Münchner Spekulanten-Boden schauen muss, habe sie fasziniert.
Den „Blick hinter die Kulissen“ des Literaturbetriebs ermöglicht Marie Arendt. Im lockeren Gespräch erzählt die „Mohrbooks“- Agentin von ihrem Beruf. Als „Vermittlerin“ zwischen Autor/Autorin und Verlag schließe sie Verträge ab, übernehme den Zahlungsverkehr, die Administration – und suche über ihr Netzwerk den passenden Verlag. „Mohrbooks“ Zürich, kaufe vor allem Lizenzen ein, auch im Ausland. Doch ohne Literatur-Agentin Rebekka Göpfert in Berlin, die die Autoren pflegt, andererseits mit Verlagen „knallhart verhandelt“, wäre sie verloren, gesteht Marie Arendt.
Was ist denn gerade der Trend? fragt Sabine Zaplin. Verlage wollten quere Lovestorys, „own voices“, also Menschen, die aus ihrer persönlichen Perspektive erzählten – „außerhalb vom Mainstream.“
Aus ihrer Zeit bei Verlegerin Silke Weniger wisse sie, dass seit Corona eine Flut von Manuskripten bei den Verlagen eingehen, berichtet Ahrendt. Doch die meisten „sind nicht verwertbar.“ Sie vermute ja, dass inzwischen mehr Leute in Deutschland schreiben als lesen, sagt Tanja Weber.
„Doch wie kommt man an eine Agentur?“ will Sabine Zaplin wissen. Bei der Frankfurter Buchmesse oder im Austausch, sagt Marie Ahrendt. Autorinnen und Autoren seien über Social Media, Tik Tok, Schreibwerkstätten „gut vernetzt.“ Beim Vertrieb spiele „Medienpräsenz“ die große Rolle – etwa beim TV-Talk bei „Markus Lanz.“
Inzwischen sei die „Vertrauensbeziehung“ zur Literaturagentin „wichtiger“ als die zum Verlag, spricht die Gautinger Autorin Tanja Weber aus Erfahrung.
Bücher seien eben „ein Markt“, betont Marie Ahrendt. Wenn eine Agentur „nichts verkauft“, verdiene sie halt nichts. Die Vermarktung eines Erfolgversprechenden Buchs laufe „wie eine Auktion.“
„Neuerscheinungen“ werden Thema: Den Roman „Wir sind dieser Staub“ von Elizabeth Weltmore mit „der grausigen Stelle“, wie eine junge Texanerin im Ölboom der späten 1970er-Jahre vergewaltigt wird, habe sie im englischen Original gelesen – und die Rechte für den deutschen Markt gesichert, erzählt Marie Ahrendt.
„Was ist das für ein Land, das Trump wählt?“ fragt sich Literaturkritikerin Sabine Zaplin. Sie empfiehlt den Roman des US-Schriftstellers Willy Vlautin: „Nacht wird es immer.“
Wie der Film „Nomadland“ beschreibe Vlautin Menschen der verarmten Arbeiterschicht in Portland, die aus ihren Häusern ausziehen müssen: Die Protagonistin, die 30jährige Lynette, lebt mit ihrer Mutter zusammen, geht zum College, erledigt zwei Jobs und passt auf ihren geistig behinderten Bruder auf. Doch ihren Traum, das Haus zu kaufen, durchkreuzt ihre Mutter. Im „klassischen Plot“ bleiben Lynette nur zwei Tage und zwei Nächte, um das Geld aufzutreiben - in der Drogen- und Junkie-Szene Portlands, dem neuen Silicon Valley der USA, erzählt Sabine Zaplin. Autor Vlautin habe dem hervorragend übersetzten Roman den Satz vorangestellt: „Man kann gar nicht gierig genug sein – wie der 45. Präsident der USA.“
„Mädchen, Frau etc.“ von Bernadette Efcharisto „ist mein Buch des Jahres“, bekennt Tanja Weber: Denn die afrikanische Autorin gebe sich ganz dem Rhythmus der schwarzen Frauenstimmen hin. Der Roman beginne in London mit der Tochter, erzähle von der Tante, der Mutter. Diese schwarzen Frauen erlebten zwar ähnlich wie wir weißen, aber: „Deren Ausgrenzung, den Rassismus, deren Herabwürdigung können wir nicht nachempfinden.“ In ihr habe das mit dem Booker-Preis ausgezeichnete Buch „Mädchen Frau etc.“ viel ausgelöst, sagt Tanja Weber. Eben dafür sei Literatur ja da, ergänzt Sabine Zaplin.
„Sprachlich nicht so überzeugt“ habe sie indes der New-York-Times-Bestseller „Wie schön wir waren“ der Autorin Imbolo Mbue aus Kamerun. Der Roman handle von einem jungen Mädchen, das im von einer Ölfirma ausgebeuteten Dorf lebt, „wo die Kinder sterben“ - und leiste Widerstand.
Die simbabwische Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga, gerade ausgezeichnet mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, habe sie mit ihrer Kolonialgeschichte „Aufbrechen“ literarisch „nicht überzeugt.“ Eventuell liege es ja an der Übersetzung.
„So miserabel“ fand sie den jüngsten Roman „Der Brand“ von Daniela Krien, „dass ich das Buch nach 30 Seiten gleich weglegte“, sagt Tanja Weber. Mit ihrer
Kollegin Sabine Zaplin ist sie sich da vollkommen einig.
„Oh William!“, den neuen Roman von Elizabeth Strout, einer „Meisterin des Schreibens“, legt Sabine Zaplin ihrem Publikum indes wärmstens ans Herz.
Die verwitwete Heldin Lucy Barton, inzwischen 63 Jahre alt, treffe ihren ersten Mann William, dem sie nach wie vor verbunden ist, als der ihre Hilfe sucht. Die Autorin schaffe es, mit beschriebenen Alltagszenen wie dieser, die Leserin in ihren Bann zu ziehen: „Als sie ihm durchs Fenster nachsieht, wie er zur U-Bahn geht, ein bisschen gebeugt, bricht es ihr das Herz“.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.