Nach(t)kritik
Neue Wege
Veranstaltung: Corazón-Quartett: Flamenco & LatinHinterm Ofen dichtet man die besten Mailieder, wusste Heinrich Heine. Und von der Sonne Andalusiens kann man am schönsten träumen, wenn der Himmel sich in herbstlichem Grau zeigt. Diese Sehnsucht wird im Konzert des Münchner Corazón-Quartetts aufs Schönste bedient. Mit spielerischer Leichtigkeit und souveräner, uneitel präsentierter Leidenschaft entführen sie mit Flamenco-Klängen das Publikum ins Warme.
Dramaturgisch geschickt tritt primus inter pares Lori Lorenzen alleine auf: Ein Mann mit seiner Gitarre, so schlicht wie wirkungsvoll. Rhapsodisch frei beginnt er seinen gezupften Monolog, fantasievoll, verschlungen, ein Klang gewordener Traum. In diesen Traum treten Lorenzens drei Mitstreiter, ergänzen das Klangbild, geben eigene Impulse. Gemeinsam entwickelt das Quartett die musikalische Umsetzung einer Reise-Erinnerung. „Via Covello“ heißt das Stück, in Erinnerung an einen besonderen Ort. „Als ich von dort nach Hause gefahren bin, hatte ich nicht nur ein neues Stück im Gepäck, sondern damit auch diese wunderbare Natur“, erklärt Lorenzen.
Das Quartett setzt ganz persönliche Erfahrungen in höchst zugängliche Musik um. So gelingt es den vier Musikern immer wieder, aus einem einfachen Bild eine schlüssige Ton-Erzählung zu konstruieren. Sehr schön in „La cajita“ (hier: Die Spieluhr), das Lorenzen seinem gestorbenen Vater gewidmet hat. Wie bei einer Spieluhr greift hier alles perfekt ineinander. Lori Lorenzens Lead-Gitarre, die auf die präzise koordinierten Gitarrenklänge von Wolfgang Wallner trifft, die sanfte Kontrabass-Grundierung von Peter Cudek und ein Drumset, mit dem Andreas Kutschera den rhythmischen Drive sichert, schießen zu einem Musterbeispiel heiterer Kunst zusammen.
Dass das Quartett aber auch dunklere Töne im Repertoire hat, beweist unter anderem „Ingrávidos“ (Schwerelose). In der Mitte des Stücks greift Lorenzen zu einem kleineren Gitarrenmodell, streut damit Dissonanzen in den Satz – das Publikum lauscht gebannt. Man hört, dass das Corazón-Quartett „Nuevos caminos“ (Neue Wege) sucht, wie eines der tänzerischsten Stücke des Abends heißt. Dabei kombinieren die vier Musiker nicht nur klassischen Flamenco mit Jazz und den lateinamerikanischen Noten der Salsa. In der hinreißenden „Tonada de la luna llena“ (Tonada auf den Vollmond) nach dem Gedicht des Venezolaners Simón Díaz etwa entsteht aus den zart gezupften einleitenden Takten ein quasi-impressionistischer, immer wiederkehrender Refrain.
Nicht umsonst hat das Quartett seinem jüngsten Album den Titel „Luna“ gegeben. Doch neben den Eigenkompositionen der Quartett-Mitglieder können diese auch in Klassikern des Repertoires ihr Können zeigen, so in Paco de Lucías wunderbar farbigem „Convite“ (Einladung) oder in Al Di Meolas „Milonga noctiva“ (etwa: Nächtliche Milonga).
Das Corazón-Quartett nimmt sein Publikum mit auf musikalische Reisen zwischen Europa und Lateinamerika, von der kühlen Melancholie des Mondes zur strahlenden Sonne – und das, ohne einen Fuß vor die Tür setzen zu müssen. Dafür gibt es engagierten Beifall aus gut besetzten Reihen.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.