Nach(t)kritik
Nie mehr ohne Gummi
Veranstaltung: The Capitols: Psychedelische KaskadenUnd dann spielen sie gegen Ende auf einmal diesen wunderbaren Song, und man ist versöhnt: „I don´t wanna dance with somebody no more“ entfacht in der Live-Version der „Capitols“ eine geradezu betörende Magie – wie überhaupt der Auftritt der Münchner Band im Bosco jederzeit für einen seltsamen Zauber sorgte, trotz einiger spätpubertärer Verzeihlichkeiten des Sängers Matija Kovac. Der schaffte es immerhin mit seinen drei Ex-Mitschülern vom Max-Gymnasium, das von Stühlen befreite Parkett binnen einer halben Stunde mit fröhlich tanzenden Menschen zu füllen und die Leute sogar zum Mitsingen einiger Songs zu animieren - das gelingt nicht jedem, für den der Boden bereitet wird.
Dass „The Capitols“ einst (2011) als Schülerband gegründet worden sind, merkte man irgendwie schon noch: Ein bisschen wichtigtuerisches Soundcheck-Trödeln zu Beginn, immer mal Getue um das den Blondschopf bändigende Haargummi, ein paar altkluge Sprüche und Klischees, die vielleicht noch die Mädels aus der K12 beeindrucken mögen. Machte aber nichts, denn all das war ja altersbedingt ernst gemeint und wurde bei allem schiefen Pathos durchaus mit Liebe serviert. „The Capitols“ haben nämlich etwas ziemlich Seltenes zu bieten: Ausstrahlung. Musikalisch schiebt man sie deshalb vermutlich in die „Alternative“-Schublade, doch das dürfte bloß bedeuten, dass sie sich eben nicht gut einordnen lassen. Irgendwo zwischen wuchtiger Gitarren-Lautstärke und balladenhaften Gesangspassagen sind sie zu finden, und Kovac bringt sogar eine große Holzblockflöte in den Songs unter – manchmal passt das als Kontrast ganz gut, manchmal gehen Flöte samt Text aber auch unter in dem Getöse, das Jan Salgovac (Gitarre, E-Piano), Bassist Johann Blake und Drummer Sami Salman vom Stapel lassen. Dabei bringt Matija eine hoch interessante Stimme mit, die sich erst im Laufe der etwa zehn Songs des Abends zunehmend Geltung verschafft. Selbstironisch schreit Kovac in bester Open-Air-Pose „Geht´s euch gut, Gauting?“, und die bereits warm gespielten Bosco-Tänzer antworten entsprechend im Chor. Und logisch: Der wirklich gute Song „Mexico“ bedient noch einmal sämtliche Klischees der Videoclip-Generation: Cadillac, Mexiko, Fahrt auf dunkler Straße, irgendwie Abhauen aus dem alten Leben – was will man mehr? Von einem guten Konzert darf man all dies schließlich erwarten: eine ordentliche Prise Eskapismus, das Posen des kaum 25-jährigen Sängers, der die Last des Alters spürt und schon in Vietnam dabei war. Dazu noch das Geplapper von der verströmten „guten Energie“ - und das wohlkalkulierte Schütteln einer wilden Mähne. Wenn dann auch noch aufregende Musik dabei ist, um so besser. Lasst uns verschwinden hier, Leute... Thomas Lochte
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.