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Nach(t)kritik

Di, 15.02.2022
20.00 Uhr

Noble Leidenschaft

Veranstaltung: Pablo Barragán, Klarinette, Alexey Stadler, Violoncello & Matan Porat, Klavier: Brahms und Schumann

Ganz am Schluss, als Zugabe, werfen sie einen Blick ins zwanzigste Jahrhundert. Zu Alberto Ginastera und dem zweiten seiner Danzas Argentinas, einer tief melancholischen Skizze der Graslandschaft der Pampas – im letzten Takt der Partitur steht das Wort "lontano" (fern). Pablo Barragán (Klarinette), Alexey Stadler (Violoncello) und Matan Porat (Klavier) präsentieren die argentinische Miniatur mit der gleichen Intensität und Innigkeit, mit der sie zuvor Schumanns und Brahms'  Seelenlandschaften erforscht haben.

Innigkeit ist einer der Werte, dem  sich der späte Brahms ganz verschrieben hat. Seine letzten großen Instrumentalwerke sind nach innen gekehrte Klangwunder, die gerade deshalb eine Spannbreite der Empfindung verlangen wie wenig Anderes. Diese Musik scheint wie für Pablo Barragán geschrieben, der spätestens seit der Teilnahme am ARD-Musikwettbewerb 2012 ein international gefragter Musiker  ist. Brahms'  zweite Klarinettensonate in Es-Dur gestaltet er dynamisch und farbenreich, nicht als Klang-Meditation des Rauschebartträgers Brahms, sondern als zärtliche Musik, in der gleichwohl  noble Leidenschaft aufgehoben ist. Mit klarem, natürlich schwingendem Ton, der auch in der Tiefe immer vital bleibt, widmet er sich den weiten melodischen Kurven, die er gemeinsam mit seinem Partner Matan Porat beschreibt. Zumal im Mittelsatz, dem "Allegro apassionato", erreichen die beiden eine geradezu erzählerische Qualität des Spiels – kaum kann man erwarten, zu erfahren, wie es weitergeht in dem extrem dichten Werk. Brahms hat hier seine Praxis der Konzentration  musikalischen Materials zur Vollendung gebracht. Verkopft wirkt in dieser Interpretation allerdings gar nichts, hier ist am Schluss nur heitere Gelöstheit zu vernehmen.

Auf diesem Pfad geht Matan Porat auch solistisch weiter, wenn er Brahms'  Vier Klavierstücke (Opus 119) als zarte Charakterstücke vorführt. Porat ist auch als kreativer Programmgestalter und Komponist erfolgreich und ja, wie  improvisiert wirkt das Eingangs-Intermezzo.  Auch in den anderen Sätzen gewinnt Porats Ausdruck durch  subtile  Tempo-Freiheiten und flexible Phrasierung. Allein in der finalen Rhapsodie klingen Unsicherheiten durch. Manche der vollgriffigen Fortissimo-Akkorde schrammen da den Bereich des perkussiv Harten.

Doch in Schumanns Fantasiestücken (Opus 73), diesmal mit dem Cellisten Alexey Stadler, hat Porat seine Klangkultur wieder im Griff. Das mag auch an Stadler liegen, der nicht den größten Cello-Ton für die lyrischen Schumann-Piecen wählt, zumindest nicht in der anfänglichen Träumerei in a-Moll. Hier zeigt sich Stadler als brüchiger Romantiker, der im Verlauf des Werks aber an Prägnanz gewinnt. Im rasanten Finale kann er mit kernigem Klang und expressiven Gesten aufwarten. Dem steht Barragáns Interpretation einer weiteren Trias von Schumann-Stücken, den (eigentlich für Oboe komponierten) Romanzen in nichts nach. Auch hier erweist sich der andalusische Klarinettist als faszinierender Musik-Erzähler.

Doch, was nicht überrascht, den Höhepunkt des Programms bildet der gemeinsame Auftritt der drei jungen Musiker in Brahms'  Klarinettentrio. Das Kammermusikwerk hat Brahms ebenso wie seine Klarinettensonaten für Richard Mühlfeld, seines Zeichens erster Klarinettist der Meininger Hofkapelle, komponiert. Es steht etwas im Schatten des größeren und als zugänglicher geltenden Klarinettenquintetts. Völlig zu unrecht, möchte man meinen. Denn Barragán, Stadler und Porat erschließen das Trio mit einer Selbstverständlichkeit, die sich dem Publikum sofort mitteilt. Sei es im melancholischen Kopfsatz, dem verträumten Adagio, dem elegant bis rustikal sich drehenden Walzer oder dem musikantisch aufgespielten Finale. Überall gelingt den drei Musikern ein intensiver Austausch, der das ohnehin bezauberte Publikum zu Beifall mit Händen und Füßen animiert: Der legitime Abschluss eines wunderbaren Konzerts.

Paul Schäufele, 16.02.2022


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Di, 15.02.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.