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Nach(t)kritik

Fr, 10.02.2017
20.00 Uhr

Nuancenreiche Klangbildung

Veranstaltung: Minguet Quartett & Gérard Caussé, Viola: Mozart, Ligeti, Brahms
War es eine Wiederholungszugabe, oder doch ein anderes Werk? In gewisser Weise war die Frage berechtigt, denn im Grunde traf beides zu. Das Allegro stammte aus dem eröffnenden Streichquintett C-Dur KV 515 von Mozart, doch war es hier nun nicht in gleicher Weise dargeboten. Oder nicht in gleicher Weise gehört? Auch hier ist wohl beides richtig, war doch inzwischen musikalisch eine Menge geschehen, was das Gehör ordentlich schärfte und auch aufwühlte. Als das Minguet Quartett zusammen mit dem wunderbar warm und empfindsam formenden französischen Bratscher Gérard Caussé das großdimensionierte Werk zum Konzertbeginn darbot, trug es vergleichsweise eine geradezu galante Geschmeidigkeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die zudem inhaltlich auf frühere Werke verwies. Vor allem auf Haydns Opus 33 Nr. 3 ebenfalls in C-Dur, das Mozart derart herausgefordert hatte, dass er das Streichquartett nach einigen Jahren seit seinem bezugnehmenden G-Dur-Quartett noch einmal erwidern wollte. Das schien ihm offensichtlich nur in erweiterter Besetzung befriedigend möglich, zudem mit der Verdoppelung der Mittelstimme zur Balance zwischen der brillanten ersten Violine und dem tiefen, temperamentvollen Cello.
Und die Musiker des Abends verstanden es nicht nur, diese Balance homogen auszutarieren, sondern die Vergrößerung des Ensembles auch als eine entscheidende Erweiterung der klangfarblichen Möglichkeiten in mitreißender Vitalität zu nutzen. In der Zugabe sollte dies kraftvoll-beherzt und mit wuchtigen Pinselstrichen geschehen. Am Konzertbeginn klang das Mozart-Werk aber anders, auf alle Fälle feinsinniger. Die Interpretation überzeugte vor allem mit der Feinheit der Nuancierung und in der Einfühlsamkeit der tief konzentrierten Musiker, die diszipliniert Zurückhaltung übten, ohne dabei gehemmt zu wirken. Auch dort gab es schon vitale Intensivierungen und substanzvolle Steigerungen. Doch wie blass wäre es nach den zwei weiteren Werken im Programm dagestanden!
Brahms, der sich deutlich auf Mozarts Werk bezog, machte sein Streichquintett G-Dur op. 111 geradezu zum Schicksalswerk. Hier sollte sein kompositorisches Schaffen kulminieren und enden. Ein letztes Auftrumpfen mit Pauken und Trompeten, bevor er den Schreibgriffel niederlegen wollte. Dass ihn dann eine Klarinette dazu bewegen sollte, weiter zu machen und nach dem Streichquintett noch ein Post-Spätwerk dranzuhängen, war natürlich zum Zeitpunkt der Entstehung des orchestral angereicherten Streicherwerkes noch nicht zu erahnen. Brahms formulierte dieses doch vor allem kammermusikalisches Vermächtnis überaus reich an gestalterischen Mitteln und in gewisser Weise als eine Collage aus Lebensstationen, eine Art Bilderrevue der musikalischen Einflüssen von Mozart, über Wiener Walzer bis hin zum handfesten Csárdás. Natürlich erlebte das plastische Formen der Sätze auch hier edle Rücknahmen ins Zarte und Leise. Doch wenn freizügige, gelegentlich entfesselte Passagen in der Partitur auftauchten, übte sich das Quintett nicht gerade in Bescheidenheit, ja polterte schon mal musikantisch, wenn es um folkloristische Passagen ging. Und doch wirkte der Brahms überaus kultiviert und überzeugte vor allem mit der schönklingend austarierten Schlüssigkeit des Streichersatzes.
Dass Brahms einen so edlen Eindruck hinterließ, verdankte er vor allem der packenden Interpretation des Streichquartetts Nr. 1 „Métamorphoses nocturnes“ des Ungarn György Ligeti aus den Jahren 1953/54 vor der Pause. Das Minguet Quartett tauchte hier ganz tief ein, sowohl in die musikalische Materie wie in die spieltechnische Akrobatik. Das Variationswerk über ein chromatisches Viertonmotiv als eine pastose, ja plastische Malerei mit farbiger Verschwommenheit (Ulrich Dibelius) zu verstehen, fiel den vier Musikern nicht schwer. Die diffuse Streuung in klanglicher Wolkenbildung zwischen seelentiefem Sinnieren und aggressiver Intensität boten eine explosive Mischung für Charakterstudien der besonderen Art. Die Fülle der Klangnuancen, erweitert durch zeitgenössische Spieltechniken wurde hier aber niemals zur belanglosen Spielerei. Ganz im Gegenteil. Das Mingeut Quartett verstand es, einen ansprechenden Bogen zu spannen und den einzelnen Aussagen einen überzeugenden übergreifenden Plan zu hinterlegen. Die frenetischen Ovationen waren jedenfalls kein Zufall.
Reinhard Palmer, 11.02.2017


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 10.02.2017 | © Copyright Werner Gruban, Theaterforum Gauting