Nach(t)kritik
Ode an die Ödnis
Veranstaltung: Sarah Hakenberg: Wieder da!Wie sie denn Corona überstanden habe, existentiell und so? „Mein Mann ist Kulturveranstalter“, erzählt Sarah Hakenberg und macht eine kurze Bedeutungspause. Damit sei doch alles gesagt, oder? Ihre Kinder hätten es ganz spannend gefunden, mal unter der Brücke zu schlafen, und sie seien sowieso keine starken Esser. Ja, so geht das, wenn man sich nach zwei Jahren Pandemie auch im bosco zurückmeldet. Mit dem Programm „Wieder da!“ knüpfte die einst in Zorneding aufgewachsene Kabarettistin genau dort an, wo sie bei früheren Auftritten ihre Fans eroberte – Galgenhumor in unterschiedlicher Dosierung, serviert mit Klavier und Ukulele, dem Instrument der kindlichen Unschuld.
Und es funktioniert nach wie vor bestens mit der Hakenberg´schen Grundformel: Die zweifache Mutter, die sich vor ein paar Jahren todesmutig nach Warburg in die südostwestfälische Provinz gewagt hat, tritt mädchenhaft im „Kleinen Schwarzen“ an, leitet dann wie eine Prüfungskandidatin an der Musikhochschule artig zu ihrem nächsten Klavierstück über – und beginnt dann am Pianoforte mit einschmeichelnden Akkorden ihre Sezierarbeit. Die Texte aber haben es in sich und gleiten vom Idyll zuverlässig ins Gegenteil hinüber: SUV-Anbeter, Ex-Liebhaber, die „extrem altbackenen Weltbilder“ in manchen Kinderbüchern – sie kommen alle an die Reihe, werden in von Hakenberg so getauften „Weltverbesserungs- und Friedensliedern“ sauber demontiert, wobei die „liebe“ Sarah immer nur mit einem Lächeln signalisiert, dass sie ja eigentlich „nur spielen will“.
Oder auch mal kämpfen, wenn sie ihren etwas zu militanten kleinen Sohn besingt (oder besiegt): Mama treibt das Szenario des Kräftemessens so weit, dass es im Lied zu der schönen Stelle kommt, wo sich „Bedrängnis“ auf „Gefängnis“ reimt, weil diesmal Muttern niedergestreckt auf dem Boden liegt und der Mini-Macker von Sohnemann zu greinen anfängt. Hakenberg hadert nicht mit männlich dominierten Themenfeldern, sie flurbereinigt sie, etwa wenn sie von der „Reinhard-Mey-Falle“ spricht und singt, in die alle nachgeborenen deutschsprachigen Liederschreiber immer wieder tappen: Alle Songs schon geschrieben, alles schon mal da gewesen und erledigt. Als zweifache Mutter mit einer gewissen erzwungenen Häuslichkeit fallen ihr dafür neue Stichworte wie von selbst zu, die dann als Material herhalten müssen, und so setzt sie sich notgedrungen mit Pädagogik („Es wird probiert“) auseinander oder regt sich über Passagen in „SCHÖNER WOHNEN“ auf, die ganz bestimmte Rollenmuster und Sozialklischees spiegeln: „Am schwierigsten war es, auf großem Raum Privatsphäre zu schaffen“, zitiert Hakenberg einen Luxusimmobilienbesitzer und zerpflückt gleich mal die Großkotzigkeit solcher Sätze.
Ein wenig scheint die Münchnerin aber doch zu hadern mit der südostwestfälischen Provinz, in der sie vor ein paar Jahren, kaum dorthin gezogen, „Zack, schwanger, und vier Monate nach dem ersten Kind, Zack, wieder schwanger!“ geworden war: Denn anders ist das garstige Liedchen von „Zehn kleine Dorfbewohner“ nicht zu erklären oder der Spruch „Willst Du´s riskant, komm aufs Land!“ Dazu noch der traurige Abgesang auf „den letzten CDU-Wähler“, offenbar entstanden inmitten der Armin-Laschet-Depression und mit dem Vorauskommentar versehen: „16 Jahre Angela Merkel, Stillstand, und dann geht´s abwärts“, das alles am Klavier natürlich in Moll-Tönen entsprechend umgesetzt. Die keineswegs unschuldige Sarah macht kein Hehl daraus, dass ihr Herz eher links schlägt. Baut in ihre wunderbare Hommage an alle Wörter mit „ck“ sogar ein „Fick dich, Höcke!“ ein, möchte irgendwann – logisch – beim Heavy-Metal-Festival in Wacken auftreten (bestimmt im „Kleinen Schwarzen“) und erfüllt am Ende ihres „Wieder da!“-Abends im bosco einigen treuen Fans ein paar Zugabe-Wünsche: „Hündchenlynchen in München“, frei nach Georg Kreislers Tauben-vergiften-im-Park-Klassiker, und ganz zum Schluss noch die Ode ans öde(?) „Ostwestfalen“. Hier schlafen die Babys erwiesenermaßen schon nach sechs Wochen durch!
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.