Nach(t)kritik
Pfeffersprays und ihre Folgen
Veranstaltung: Simone Solga: Im Auftrag Ihrer KanzlerinSeit heute Abend wird man - zumindest in Gauting - das Wort „Antänzer“ nur noch in Zusammenhang mit Simone Solga denken können. Dass einer der Gäste im besten Kabarettalter in der normalerweise als Schleudersitz geltenden ersten Reihe die Aufforderung der Künstlerin, er möge sie doch mal eben begrapschen, derart wörtlich nehmen würde, hat die eigentlich nicht auf den Mund gefallene Solga für Momente sprachlos gemacht (genaugenommen ist sie den restlichen Abend über nicht darüber hinweggekommen).
Vorangegangen war Folgendes: Simone Solga hatte ihr bereits gut abgelagertes Programm „Im Auftrag Ihrer Kanzlerin“ um einige neue, politisch aktuelle Themen bereichert und eine Nummer begonnen, die sich mit der Angst vor Übergriffen durch gewalttätige Migranten beschäftigt. Sie habe die letzten vier Pfeffersprays aufgekauft und eines davon bereits an ihrem Mann getestet, erklärte sie und schickte sich an, auch den Damen im Publikum die sachgemäße Handhabung des Sprays zu erläutern; zu diesem Zweck bat sie besagten Herrn, einmal probehalber den Antänzer zu geben - womit das Schicksal seinen Lauf und das Programm eine unerwartete Wendung nahm. Aus ethischen und frauensolidarischen Gründen setzt die Autorin dieser Zeilen hier ein Zeichen der Empörung: ! (aber saukomisch war es halt schon).
Bereits vor diesem höchst überraschenden Augenblick war es ein unterhaltsamer Abend gewesen. Wie bereits erwähnt, hatte Simone Solga - „großes S und kleine olga“ die Rahmengeschichte um die Assistentin von Kanzlerin Merkel, die mit einer heiklen Botschaft nach Gauting geschickt wurde, um Aktualitäten erweitert. Von den Panama Papers über Kohls Treffen mit Orban bis hin zum großen Thema Flüchtlinge und das Merkelsche Diktum des „Wir schaffen das“ wurde eigentlich nichts ausgelassen und in der Solgaschen Schnoddrigkeit und Frechheit mit viel Zündstoff und Pulver über die Rampe geschossen. Dabei blieb sie ihrer Rolle als ausgebuffte rechte und linke Hand der Macht und als deren cooles Sprachrohr in jedem Moment treu; auch die Kehr- und wahre Seite dieser Kanzlerinnenmacherin, die eigentlich niemandem traut und jeden kreuz und quer durch den Kakao zieht, blitzte immer wieder auf. „Wir schaffen das“, erklärte die im Auftrag „der von Ihnen gewollten Kanzlerin“ Reisende auch in Gauting, „wir können noch eine Million verkraften, und nächstes Jahr wieder eine. Eskalieren wird die Situation erst, wenn die alle einen Telecom-Anschluss beantragen.“
Es war ja auch genug Kabarettreifes geschehen in den vergangenen Wochen. Die Grabenkämpfe in der EU, die ständigen Kehrtwenden der Kanzlerin zwischen „Es kann nicht jeder bleiben“ über „Es darf jeder kommen“ bis zu „Es darf auch jeder wieder gehen“, die problematische Beziehung zur Türkei - all das gab ausreichend Stoff zur Satire und einer Simone Solga eine Steilvorlage nach der nächsten. Wer sie kennt, ist auf Verbalattacken gegen alles und jeden gefasst; wer nicht, konnte sie an diesem Abend von ihrer schärfsten Seite kennenlernen (und manchem war dies des Bösen zu viel).
Doch von dem (über-)mutigen Antänzer hat sie (und damit der restliche Teil des Programms) sich nicht mehr ganz erholt. Offensichtlich hatte bisher noch nie ein Zuschauer so brav befolgt, was sie von ihm verlangt hat. Und die Frage, wie weit Kabarett eigentlich gehen darf, wird fortan ganz neu gestellt werden müssen.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.