Nach(t)kritik
Piet Nr. 3
Veranstaltung: Sarah Hakenberg: Struwwelpeter reloadedDie stade Zeit, die nun beginnt, ist unter anderem auch die Zeit dafür, alte Bekannte wiederzutreffen. Da sitzt man beisammen bei Plätzchen und Punsch und erzählt einander Geschichten, die man seit langem teilt. So war es auch am Vorabend des 1. Dezember im bosco beim Wiedersehen mit Sarah Hakenberg. Plätzchen und Punsch waren hier zwar durch Brezn und Bier oder ähnlich kabarett-taugliches ersetzt, doch die Geschichten waren da. Allen voran das gute alte Buch vom „Struwwelpeter“. Sarah Hakenberg erzählt ihn „reloaded“, also gründlich bearbeitet für die Gegenwart - Struwwelpeter 2.0 sozusagen. Manche konnten die Balladen von der „Ritalin-Aline“ oder vom „Drallen Kalle“ durchaus schon mitsingen, für andere war das Programm noch neu.
Für die Rezensentin traf ersteres zu, so dass ihr verziehen sein möge, hier noch einmal das Programm zu besprechen - die arbeitende Zunft jenseits der Rampe wiederholt sich in der Regel nicht so gern. Wer die Meinung der Rezensentin zu „Struwwelpeter reloaded“ kennen möchte, sei aufgefordert, in die Archive zu steigen (dies ist durchaus virtuell gemeint). Die Rezensentin hingegen hat sich an diesem Abend mit dem Auftritt der Künstlerin beschäftigt und damit, was diese von anderen unterscheidet. Immerhin war die Vorstellung nahezu ausverkauft - wieder einmal.
Wie macht Sarah Hakenberg das? Wie transportiert sie ihre Geschichten, ihre Songs, das „subtile Klavierkabarett“, das sie am Anfang in Ermangelung der Münchner Philharmoniker und des ARD-Fernsehballetts ankündigt? Da ist an erster Stelle die perfekte Beherrschung des doppelten Bodens: als kein-Wässerchen-trüben-Könnerin lächelt diese Kabarettistin ein hinreissendes Unschuldslächeln und präsentiert mit diesem die bösesten, schwarzhumorigsten Kinnhaken. Monty Python wäre glücklich, sie mit an Bord zu haben. Die Ballade vom dämlichen Rolf und seinem scheinbar unsterblichen Hamster zum Beispiel: während Hamster Piet Nr. 1 bis 813 einer nach dem anderen mehr oder weniger natürliche Hamstertode sterben (und dabei Hamstergenicke nur so knacken), sitzt die Schöpferin von Piet und Rudi am Flügel un lächelt verzückt.
Ein weiteres typisches Hakenberg-Stilmittel ist die Beiläufigkeit. Fast mag es scheinen, als habe man einander gerade an einer Hotelbar kennengelernt und beginne zu plaudern, über Gott und die Welt, über das gute alte Buch vom „Struwwelpeter“ und den heutigen Zustand von Kindheit. So locker vom Barhocker hinweg gewinnen die Anekdoten von Mobbing im Schwimmbad oder Elternwut auf frühkindliche Mediensucht rasch an Fahrt und vor allem an Düsternis, die hier im Gewand des Slapstick daherkommt. Da kann ein böser Bub durchaus mal im tiefen Becken ertrinken oder eine Hand samt Smartphone abgehackt werden - als Nebensatz präsentiert, besitzt es die Halbwertzeit einer Randnotiz.
Und schließlich ist da die konsequent ausgemalte Phantasie der Alltagszyniker, die Sarah Hakenberg zu gestalten versteht. Augenzwinkernd signalisiert sie scheinbares Einverständnis mit Drastikpädagogik und zielt dabei hammerhart auf die Magengrube des larmoyanten Kulturpessimismus - Haken(berg)schlag par excellence. Wer jetzt noch „Kling Glöckchen“ anstimmen mag, überlege, wie Frau Hakenberg das interpretieren würde.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.