Nach(t)kritik
Pinguine in Kirschbäumen
Veranstaltung: Stefan Waghubinger: Ich sag's jetzt nur zu IhnenWenn einer raucht, obwohl das Rauchen für ihn potentiell tödlich endet, ist er Realitätsleugner. Wenn einer trotzdem über 100 Jahre alt wird, ist er Realitätsverweigerer – nur um das mal klarzustellen.
Der österreichische Kabarettist Stefan Waghubinger, der solche Betrachtungen an den Anfang seines 2020 angelaufenen Programms „Ich sag´s jetzt nur zu Ihnen“ stellt, wurde 1966 in Steyr geboren und lebt (zumindest laut Wikipedia) seit 1993 in Stuttgart, er studierte in Deutschland Theologie und bezeichnet sich heute selbst als Satiriker: Ein in der Realität Angekommener also, der noch jede Menge christlich-humanistisches Gedankengut im Gepäck hat und nicht zufällig darüber philosophiert, dass alles „aus Zufall und Notwendigkeit“ entsteht. Pinguine zum Beispiel sind für ihn „a bisserl depperte Zugvögel“, die bloß das Fliegen verlernt haben – doch man beachte nur die Möglichkeiten, dass sie sich eines Tages wieder auf ihre Fähigkeiten besinnen und als Frühlingsboten in unseren Kirschbäumen hängen!
Wer Stefan Waghubinger rund zwei Stunden zuhört, dem eröffnet sich ein ganzer Kosmos des Unwahrscheinlichen. In angenehm nicht-missionarischem Tonfall denkt dieser mutmaßlich katholisch sozialisierte Steyrer über das Leben nach, spricht mäandernd über die kleinen und großen Peinlichkeiten, die schmutzigen und sauberen Triumphe, die daraus abgeleiteten Ahnungen („Ich waaß ollaweil vorher scho, was passiert“) und vermeintlichen Gewissheiten, die man in einem 56-jährigen Dasein so anhäuft. Waghubinger gibt sich pro forma als Bauunternehmer mit zerrütteter Ehe aus, das befördert ein paar schöne Galligkeiten über sein Sozialleben: „Meine Frau und ich fliegen ein paar Mal im Jahr in Urlaub – manchmal gemeinsam und manchmal zur Erholung.“ Golfplätze deprimieren ihn: „All die unbebauten Grundstücke in bester Lage!“ Er weiß, in seinem Zuhause „sollten wenigstens die Möbel eine Seele haben“ und dass man an den Autos erkennt, wie schnell die Zeit vergeht: „Sie werden so schnell größer.“
Soweit der Alltag, wie auch wir Zuhörer ihn womöglich kennen und wie er manchen von uns genauso in den Burnout treiben mag wie Waghubingers Bauunternehmer. Dann aber kommt jener Extra-Schuss dazu, der diesen sanften Bühnenhelden so einzigartig macht: Die Geschichte vom Großwildjäger etwa, der seinem Sohn von den Afrika-Safaris immer Kuschelstofftiere mit heimbringt, die den tatsächlichen Jagdtrophäen entsprechen. Und der fürsorgliche Papa erzählt seinem Buam zum Einschlafen dann die Geschichten, wie er die echten Tiere abgeknallt hat. Geradezu beiläufig serviert werden solche Grusel-Miniaturen, ohne den Gong der Pointenhascherei. Ähnlich unspektakulär gerät ein Schlenker in Waghubingers theologische Domäne: „Du sollst dir kein Bild machen. Das hat Gott schon in den Bibelfilmen zu Moses gesagt.“ Man wird von derlei Doppelbödigkeiten eher sachte gestreift als überrumpelt, und so lässt man sich von diesem Gedankenstrom des leicht Absurden gerne forttreiben. Man erfährt, dass die roten Eichhörnchen gerade von den offenbar tafferen grauen hierzulande verdrängt werden, und wenn er doch mal ein rotes sehe, so Waghubinger, dann handle es sich bestimmt um ein graues mit Nuss-Allergie.
Zwischendurch spielt er am Stehtisch Monopoly mit sich selbst, würfelt, muss zur Pause des Abends „drei Runden aussetzen“. Waghubinger spricht viel vom Alleinsein, vom Selbermachen. Davon, dass er schon mit zwölf angefangen habe, Freunde zu verlieren. Der kleine Stefan könnte ein recht einsames, geradezu traumatisiertes Kind gewesen sein, das an Weihnachten mit einem lächerlichen Captain-Kirk-Kostüm samt Antenne und einer viel zu engen Strickjacke beschenkt wurde: „Wenn ich ein Schaf sehe, kriege ich noch heute Atemnot!“ Doch die Flucht ins Träumerische, sie dürfte ihn stets gerettet haben, und sie funktioniert nach wie vor. Ein Stern, dessen Lichtstrahl Milliarden Jahre zur Erde unterwegs war, wird – Zack“ – „einen halben Meter vor dem Eintreffen von meinem Sonnenschirm abgeblockt“, sinniert Waghubinger und macht uns deutlich: Das sind die wahren Tragödien! Ja, ein Duschgel sollte eher „Afrika“ heißen und nicht „Mecklenburg-Vorpommern“ – auch dies ist ihm wichtig: die Bewahrung des Zaubers, des Mystischen. Sachte zerlegt wird hingegen jedwede ökologische Illusion: „Ich habe nichts gegen die Natur, wenn die mit uns leben will, muss sie sich auch anpassen!“ Oder so: „Freiheit fängt dort an, wo du deine Grenzen nicht mehr siehst.“
Lauter Aphorismen, die noch eine Drehung mehr aufweisen. Worte, die den latenten Egoismus von uns allen beim Namen nennen, auch wenn er als Toleranz daherkommt: „Meine Frau war mit sich selber unzufrieden, und sogar das konnte ich verstehen.“ In aller Unschuld ist der Mann jedenfalls heilfroh, dass er sich (als Konsument) „am richtigen Ende der Kaffee-Kette“ befindet. Demgegenüber geradezu perfide dünkt Waghubingers Bauunternehmer sowieso der Chinese:
„Der ist nicht blöd. Der arbeitet so lange in Fabriken ohne Umweltstandards, bis es bei uns so heiß wird, dass wir für ihn den Reis anbauen!“ Wie gesagt, vollkommen realitätsnah, was er da nur uns zuraunt und sonst niemandem. Sogar Verschwörungstheorien können also ihren Charme haben. Trotz Maskenpflicht ansteckende Begeisterung im bosco.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.