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Nach(t)kritik

Fr, 09.12.2016
20.00 Uhr

Quatuor Ebène: Bedingungslose Hingabe

Veranstaltung: Quatuor Ebéne: Beethoven & Dutilleux
Es war ein schöner Zufall, dass gerade das Quatuor Ebène bei seinem 11. Auftritt im bosco das 200. Konzert des Klassikforums bestreiten durfte. Einen besseren Jubiläumsgast hätte man sich wohl kaum wünschen können. Und einmal mehr sollte es ein Konzert der ganz besonderen Art werden, denn die vier Franzosen gehen grundsätzlich nicht auf die Bühne, um nur gut zu spielen, sondern um alles zu geben, was in diesem Moment möglich ist – bedingungslos der Musik ergeben und emotional gänzlich entblößt. Nach jedem Konzert des Quatuor Ebène gewinnt man den Eindruck, die höchste Hingabe erlebt zu haben. Doch wenn es wiederkommt, muss man feststellen: Da geht doch noch mehr. Ähnlich erging es den Zuhörern diesmal wohl schon innerhalb des Konzertes, als es an die Zugabe ging und hier die Cavatina aus op. 130 mit einer zutiefst berührenden Innigkeit sowie einem betörend schönen Gesang verzauberte.
Im Nachhinein ist es nur verständlich, dass sich das Ensemble wünschte, einmal auch „Ainsi la Nuit“ von Henri Dutilleux zu spielen. Gewiss nicht nur, weil der allgemein kaum bekannte französische Komponist dennoch zu den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts gehört, sondern weil er alle Finessen der zeitgenössischen wie traditionellen Spieltechniken grandios auszubalancieren und in eine absolut schlüssige dramaturgische Form zu gießen verstand. Hier konnten die vier ausdrucksstarken Instrumentalisten alle Register ziehen und auch die Homogenität im Zusammenspiel auf die Spitze treiben. Das großartige dabei ist beim Quatuor Ebène stets, dass dies zwar in voller Konzentration und innerer Anspannung geschieht, doch irgendwie selbstverständlich rüber kommt, als könnten sich die Vier gar nicht vorstellen, dabei etwas falsch machen zu können. Und das ist insbesondere bei Dutilleux eine gewaltige Leistung, ist seine Komposition doch enorm komplex und von einem verwirrend verwobenen Quartettsatz, in dem die rhythmisch-metrische Struktur so gut wie gar nicht erkennbar ist. Doch die vier Musiker verstanden es, Klarheit sowohl in der Anlage wie auch im Inhalt bzw. Text zu schaffen.
Das atmosphärische Stück mit seiner geradezu mystischen Charakteristik stand entsprechend in einem extremen Kontrast zum vorhergehenden Streichquartett B-Dur op. 18/6 von Beethoven. Schon alleine formal, war der junge Beethoven doch darum bemüht, die klassische Form des Streichquartetts unbedingt handwerklich solide zu gestalten, um gegen Mozart und Haydn zu bestehen. Nahezu euphorisch erklang auch der Kopfsatz, blühend schön das Adagio. Die Leichtigkeit des Scherzos ließ den Satz geradezu abheben, um im virtuosen Trio noch einmal einen Gang draufzulegen. All das erwies sich als eine stimmige Vorbereitung auf „La Malinconia“, die Adagio-Einleitung zum Schlusssatz, in der sich die vier Musiker überzeugend dem substanzfülligen Ausdruck von zerrissener Form hingaben und dem programmatischen Titel seine Berechtigung verliehen.
Die Zäsur mit dem Werk von Dutilleux machte es schließlich leichter, das Streichquartett Es-Dur op. 127 von Beethoven gänzliche neu anzugehen und frisch zu interpretieren. Und hier ging es nicht nur darum, eine mögliche Geschichte darin zu erzählen, als vielmehr darum, der neuen Ästhetik gerecht zu werden. Beethoven war bereits über 50 und gänzlich Taub, als er das Werk zu formen begann. Dementsprechend fordert es eine starke Wendigkeit und Anpassungsfähigkeit von den vier Musikern. Fähigkeiten, die das Quatuor Ebène geradezu spielerisch bewältigt und hier damit das Werk plastisch durchzukneten verstand. Plötzliche Kehrtwenden inklusive, die das Zuhören immer wieder auch mit überraschenden Wirkungen bereicherten, vor allem aber der immer weiter treibenden motivischen Arbeit genügend Möglichkeit zu narrativen Differenzierung gaben. Zum ersten Mal erlebte das Gautinger Klassikforum Standing Ovations.
Reinhard Palmer, 10.12.2016


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Fr, 09.12.2016 | © Copyright Werner Gruban, Theaterforum Gauting