Nach(t)kritik
Reisefreiheit
Veranstaltung: Cobario: Wiener MelangeImmer schon haben von Wien aus viele Reisen ihren Anfang genommen. Joseph Roth zum Beispiel saß dort auf gepackten Koffern, Imme in Bahnhofsnähe, denn man weiß ja nie. Wolfgang Amadeus Mozart ließ von dort seine Musik reisen, er war als Kind schon genügend unterwegs gewesen. So verwundert es nicht, dass Cobario - mit der Betonung auf dem „i“, so dass man gleich an ferne Städte in Brasilien denkt - ihre Musik zum Reisevehikel werden lässt. Die drei Wiener Musiker fliegen auf ihrem Notenteppich über Ungarn nach Spanien und von dort nach Schottland, manchmal geht es ins Innere der Seele, dann wieder hinauf zu den Sternen. Und unterwegs wird mit allerlei Getier geplaudert.
Unter dem im Grunde für den Stil der drei Jungs ein bisschen zu behäbig klingenden Titel „Wiener Melange“ nehmen sie das bosco-Publikum mit und ermöglichen ganz ohne Reisebeschränkungen oder gar Beherbergungsverbot eine ausgedehnte Tour mit zahlreichen Abstechern.
Da ist beispielsweise „Seven Seas“, ein traumhaft schönes und segelleichtes Stück, in dem zunächst die Gitarre zum Steuermann wird, ehe die Geige sie ablöst. Der Kompass zielt auf den Himmel, es geht wolkenwärts. Da ist „Showdown“, das nach Spanien entführt und voller Sonne und Temperament steckt. „Gulasch“ lässt die Genussfreude der Ungarn Musik werden und „Weit weg“ thematisiert das Gefühl, das gemeinhin Heimweh heißt und in dem auch immer ein bisschen Fernweh steckt.
Und immer wieder kreuzen Tiere ihren Weg. Ein melancholischer Kater namens Blue, der sich während der Probenarbeit auf dem Klavier ausruhte, fand Eingang in ein Stück, das seinen Namen trägt. Ein Esel noch weiter ostwärts trabte mitten hinein in ein störrisch schönes Werk. Und das böse Tier Mensch gar, in Gestalt eines Geigendiebs, inspirierte nach monatelanger Abwesenheit und doch glücklicher Rückkehr des Saiteninstrumentes zu "Reconquista", einem Geigen-Bravourstück.
Die eigentliche Reise von Cobario aber umfasst einen Radius von vielleicht vier, fünf Metern und spielt sich zwischen den drei Musikern und ihren Instrumenten ab. Das, was Herwig „Herwigos“ Schaffner (Violine, Bratsche und Klavier), Jakob „El Coba“ Lackner (Gitarre) und Georg „Giogio Rovere“ Eichberger (Gitarre und Klavier) auf der Bühne entstehen lassen, ist ein Klangkörper, der von Aufeinander-Hören und Miteinander-Denken geprägt ist. Wie ein eingespieltes Reiseteam kennen die drei einander, wissen um die Vorlieben der anderen, wissen, was als nächstes kommen wird. Komponierte Motive und Improvisation scheinen einander abzuwechseln. Und wenn auch alles in einem offensichtlich mit einem ausgezeichneten Weinkeller ausgestatteten Komponierhäuschen in Ungarn entsteht, so entsteht doch das eigentliche Stück immer in dem Augenblick, in dem es auf der Bühne gespielt wird. Die Herkunft der drei von der Straßenmusik ist immer noch im Hintergrund zu hören. Gerade im Wechselspiel von Spontaneität und Plan entsteht dieser besondere Cobario-Stil.
Man merkt El Coba, Herwigos und Giorgio Rovere an, dass sie den Live-Moment genießen. Die Schwingungen zwischen Bühne und Saal stimmen. So klärt sich gleich ein Lacher aus dem Publikum als Überraschung über den so gelungenen Tempo- und Stilwechsel am Ende eines Songs auf. Und dass Cobario nicht ohne drei Zugaben gehen dürfen, spricht ebenfalls Bände. Die Zuhörerinnen und Zuhörer jedenfalls waren noch lang nicht zurückgekehrt von der Reise, wollten noch lange nicht heim.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.