Nach(t)kritik
Revolution der Poesie
Veranstaltung: Tina Teubner & Ben Süverkrüp: Wenn du mich verlässt komme ich mitSchon die Flasche Rotwein, die noch kurz vor Beginn der Vorstellung auf die Bühne gebracht wurde, war ein deutlicher Hinweis darauf, dass es anders werden würde als die meisten gegenwärtigen Kabarettprogramme. Schließlich sind die Zeiten, als Künstler auf der Bühne Genußmittel konsumierten, vielleicht gar rauchten, seit der flächendeckend vorherrschenden Correctness vorüber. Doch das kümmert Tina Teubner nicht. Sie will gar nich korrekt sein, und natürlich trinkt sie immer mal wieder einen Schluck Rotwein zwischen den Zeilen. Einen „Rausch der verschwendeten Melancholie“ verspricht sie gleich zu Beginn ihres aktuellen Programms „Wenn du mich verlässt, komm ich mit“, das sie gemeinsam mit ihrem langjährigen Bühnenpartner Ben Süverkrüp im bosco vorstellt. Inklusionstheater mit inkludiertem „betreuten Lachen“ sind ihre Sache nicht, Tina bringt auf den Punkt, was sie bewegt. Und vor dem Punkt kommen deutliche, zugleich sehr poetische Worte.
Denn die Welt ist nicht so gemacht, dass sie Anlass zu Lachsalven bei gleichzeitigem Schenkelklopfen böte. Es ist eine Welt ohne Pointen, nichts ist einfach bloß lustig. Stattdessen bietet sie Anlass zur Selbsthinterfragung: welche Rolle spielen wir selber in diesem Weltzirkus? Was tun wir in dieser Welt, was tun wir ihr an und was sollten wir tun in der uns zugemessenen Zeit? Dem geht die Teubner nach auf ihre ganz besondere Weise: fragend, singend, im Dialog über den Tisch, den Rotwein hinweg bis hinüber zum Flügel, an dem Ben Süverkrüp den Abend über sitzt und mal musikalisch, mal in Worten antwortet. Die Musik trägt die Texte, die formulierten Gedanken, trägt sie hinein in Chansons und schlägt die Brücke zurück zu den Worten. Das ist keine Begleitung im üblichen Sinn, das ist wirkliche Begleitung auf dem Weg durch unwegsames Gelände.
Denn Tina Teubner wagt viel. Riskiert, die Zuschauer vor den Kopf zu stoßen, mindestens zu irritieren. Ihr vom Leben geschärfter Blick auf die Welt und unsere Rolle in dieser führt zu einer Bestandsaufnahme, in der förderwütige Eltern ebenso auf den Prüfstand kommen wie Fitness-Jünger und Unternehmensberater. Der gemeinsame Nenner ist der Optimierungswahn. Schon die Kindheit soll hinsichtlich einer erfolgreichen späteren Berufslaufbahn optimiert werden durch pränatale Weichenstellungen. Später ist es der Körper, der für die täglichen Schlachten auf den Schauplätzen des Berufs, der Liebe und der Gesellschaft permanent optimiert und kontrolliert werden muss. In hinreißend melancholischen Chansons und spitzzüngigen Wortgebäuden erzählt Tina Teubner von diesen Optimierern, die eigentlich nichts anderes suchen als das Glück - oder wenigstens eine Option auf dasselbe. Das Problem ist, dass dieser Weg nicht zum Glück, sondern in letzter Konsequenz zur Zerstörung des Planeten führt. Und auch, wenn das vielen bereits bewusst ist, so zeichnet sich in der Wahl der Mittel im Ringen und Sinn und Naturnähe doch eine gewisse Hilflosigkeit ab, die im harmlosesten Fall zum inflationären Fabrizieren von kuriosen Marmeladenmischungen führt.
Dabei ist es eigentlich ganz einfach. „Wir haben vergessen, wie profan das Glück sein kann“, zieht Tina Teubner am Ende des Abends ihr Fazit. So profan wie ein Atemzug voll frischer Luft kann das Glück sein, oder dass man jemanden tröstet, mal die Wände frisch und ganz weiß streicht, die Stille genießt. Um das zu erreichen, braucht es nichts weniger als eine Revolution der Lust, eine Revolution der Poesie. Der Mündigkeit. Es sind die mündigen Poeten, die melancholischen Genießer, die der Welt aus ihrem Traurigsein heraushelfen können. Man muss sie nur lassen. Und ihnen das Glas Rotwein auf der Bühne gönnen.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.