Nach(t)kritik
Spaß in der Manege
Veranstaltung: Gankino Circus: Irrsinn & IdyllDietenhofen in Westmittelfranken muss ein erstaunlicher Ort sein. Die Kühe werden mit altfinnischen Liedern zu unendlicher Milchproduktion angeregt, die Feuerwehrkapelle besteht ausschließlich aus Schlagzeugern, und der Bürgermeister war einst der gefährlichste Räuber der ganzen Gegend. Stoff genug für Regalmeter voll Schauermärchen bietet dieses Nest, vor allem aber ist es die Heimat der vier Musiker von Gankino Circus. Und die vereinen in sich und in ihre Musik all das, was Dietenhofen an Irrsinn und Idyll in sich birgt. „Irrsinn & Idyll“ ist auch der Titel des aktuellen Programms, mit dem Gankino Circus gerade tourt und auch im bosco Station machte.
Wie soll man diese Band beschreiben? Ralf Wieland, Gitarrist und so etwas wie der Erzähler der Geschichte Gankino Circus, bietet die interessante Version einer seit fünf Generationen bestehenden Straßenkapelle, die immer wieder von den Eltern an die Kinder weitergereicht wird, so dass sich die ansonsten sehr komplizierte Berufsfrage hier im seligen Westmittelfranken gar nicht erst stellen muss.
Den Gautingern bot sich das Bild von vier verschroben wirkenden Typen - einer in Kniebundhose, einer mit Hut, Stock und Gamsbart, einer im Anzug mit greller Krawatte und Schnauzbart und einer mit einem grundzufriedenen Dauergrinsen. Bewaffnet mit einem Arsenal an Instrumenten, begabt mit einem Übermaß an Energie, Rhythmus und musikalischer Leidenschaft und besessen von einer circensischen Lust am Fabulieren zwischen Worten und Harmonien. Normalerweise gibt es so etwas nur in Österreich - aber hier sind sie: Gankino Circus aus Dietenhofen. Zwischen Irrsinn und Idyll zuhause.
Zwischen diesen Polen bewegt sich auch der erzählerische Rahmen des Programms. Das Dorf, das sich musikalisch im frechen Volkslied bebildern lässt, hat neben jedem idyllischen Aspekt auch gleich einen des Irrsinns. Und auch dieser findet eine musikalische Entsprechung: irrsinnig wild und begeistert wie begeisternd sind die vier Musiker, die jeden volksliedhaften Beginn weiterentwickeln und dabei Anleihen bei den Weisen, Melodien, Instrumentierungen der Nachbarländer nehmen - ganz so, als würde das fränkische Dorf zum Global Village of Music.
Ein Blick auf die Instrumente bestätigt dies: Ralf Wiegand spielt verschiedene Gitarren, Simon Schorndanner Klarinette und Saxophon, Maximilian Eder Akkordeon, Xylophon und Fränkische Rahmentrommel, und Johannes Sens Schlagzeug und kleinen Bass. Da wird aus der Geschichte einer Tante Roswitha aus Schlesien ein Balkanfolksong mit Zigeunerjazz-Anklängen. Da entwickelt sich ein Liebeslied zum rasanten Rock´n Roll. Da klingt es nach Kirmes oder Kirchweih, nach Bierzelt und Jazzkeller, nach New Orleans, Budapest, Paris und (natürlich) Dietenhofen. Auf phantastische Saxophon-Ausflüge (Simon Schorndanner) folgen explosive, rasante Schlagzeug-Soli (mal Maximilian Eder, mal Johannes Sens). Und Ralf Wieland führt mit feinem Lächeln und klassisch fränkischem Understatement in die Un-Tiefen der Dorfgeschichte, die wie ein Subton unter dem Konzert liegt.
Ein Circus, mit Clowns und Löwenbändigern, mit Drahtseilakt und Jongleuren und vor allem mit einer Kapelle, die keinen einzigen Tusch spielt, dafür aber jede Menge richtig gute Musik. Gigantisch gut, mit zwei weichen g und einem hadden t.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.