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Nach(t)kritik

Mi, 12.12.2018
20.00 Uhr

Streichquartett neu erlebt

Veranstaltung: Erlenbusch Quartett: Strawinsky, Haydn, Brahms
Es war schon ein riskantes Unterfangen, Strawinskys „Trois pièces pour quatuor à cordes“ zum Konzertbeginn zu spielen. Einerseits kann es sehr erfrischend sein, zuerst aus allen eingefahrenen Hörgewohnheiten gerissen zu werden, um das Nachfolgende gänzlich neu zu erleben. Andererseits bilden die drei Stücke eine so intensive Werkgruppe, dass Haydns Streichquartett G-Dur op. 76/1 dagegen etwas blass ausfiel. Dabei setzte doch das Erlenbusch Quartett mit Michael Barenboim als Primarius reichlich Energie in seine Interpretation. Das Quartett gehört zur letzten vollendeten Sechser-Werkgruppe dieser Gattung von Haydn und ist auch ein deutlicher Vorgriff darauf, was mit Beethoven und Schubert noch folgen sollte. Im Grunde also ein Werk, das man durchaus mit Strawinskys avantgardistischen Miniaturen vergleichen kann, die kurz nach der Uraufführung von seiner revolutionären Ballettmusik „Sacre du printemps“ in Paris auf experimentelle Weise durchaus noch mutiger daherkamen und Möglichkeiten erprobten, die erst ein paar Jahrzehnte später für die Neue Musik charakteristisch werden sollten.
Was aber den jungen Strawinsky vom reifen Haydn unterscheidet, ist der Umgang mit der Tradition. Während Haydn mit seinem op. 76 dem Auftraggeber – dem Grafen Erdödy – noch klar in der Gattung erkennbare Werke zu liefern hatte, konnte sich Strawinsky 1914 in seinen freien Kompositionen von formalen Vorgaben leicht lösen, zumal im abgelegenen Exil am Genfer See. Andererseits blieb die russische Tradition für Strawinsky weiterhin die Hauptquelle der Inspiration, was das Erlenbusch Quartett auch in den drei Stücken deutlich zu machen verstand. Vor allem in „Dance“, wo es schon ausgeprägt musikantisch polterte. Ebenso im „Cantique“ zum Schluss, als es um liturgische Gesänge in russisch-orthodoxer Manier mit Vorsänger ging, die das Ensemble in gleichmäßig diffusen Clustern in mystische Atmosphäre tauchte.
Auch Haydn setzte sich schon in einigen Aspekten über die tradierte Form hinweg. Was sein Quartett aber so besonders macht, ist vor allem die Substanzfülle und das Klangvolumen, nun auf große Konzertsäle abzielend. Das Erlenbuschquartett mobilisierte beides in üppiger Ausprägung und formte die Materie überaus plastisch. Hier konnten die vier Musiker von ihren reichhaltigen Orchestererfahrungen besonders profitieren, denn dabei stand die disziplinierte Ensemblehomogenität unter den Geboten zuoberst. So konnte eins aus dem anderen hervorgehen und den Bogen vom ersten bis zum letzten Ton spannen.
Zu Haydns Überraschungseffekten in diesem Streichquartett gehört einerseits der Verzicht auf die Exaktheit bei der Themenwiederholung im Sinne der Weiterentwicklung sowie andererseits die Kontrastierung mit überraschenden Wendungen etwa zum Lieblichen wie im Schlusssatz oder auch zum Volkstümlichen wie mit dem vergnügten Ländler des Trios im Quasi Minuetto. All das fand sich im Grunde auch bei Brahms, der mit den Streichquartetten op. 51 sein Debut in der Gattung feierte – allerdings nachdem er rund 20 Streichquartette als unzureichend vernichtet hatte. Das Erlenbusch Quartett ließ aber keine Zweifel daran, dass das lyrische Werk a-Moll op.76/1 dem Anspruch seiner großen Vorgänger nicht nur genügte, sondern auch neue Maßstäbe setzte. Die von Haydn vordefinierte Substanzfülle konnte das Erlenbusch-Quartett bei Brahms noch einmal erheblich steigern, behielt aber die absolute Klarheit und Transparenz im Auge, was bei der Komplexität in der Stimmführung schon eine enorme Exaktheit und Präzision fordert. Das von Haydn vorgebildete Programm mit kontrastierenden Themen und Motiven setzte Brahms fort, und das Erlenbusch Quartett prägte es deutlich und im Kontext schlüssig aus. Etwa im dritten Satz, wo das gemächliche Menuett sogleich von einem spritzigen Scherzo-Thema abgelöst wurde. Einen weiten Atem bewies das Streichquartett mit dem Andante, dessen dramaturgischen Bogen die Musiker mit Spannung bis ins zarte Pianissimo aufrecht hielten und den Satz im ruhigen Fluss bis zum Ende ausspielten.
Der Einfluss Strawinskys auf die Hörgewohnheiten hatte sich mittlerweile längst relativiert, sodass Brahms in seiner Klangfülle gänzlich von sich aus wirken konnte. Bis zur begeistert beklatschten Zugabe mit dem zweiten Satz aus dem Streichquartett von Verdi, dessen erzählerischen Diktion in der Art von Opernszenen folgend.
Reinhard Palmer, 13.12.2018


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Mi, 12.12.2018 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.