Nach(t)kritik
Stüberwärts - ein Heimatabend mit den Hinterbayern
Veranstaltung: Herbert Pöhnel und Johannes Haslinger: Hinterbayern_InsideSchmerzbewältigung muss wohl so ausschauen, wenn man aus dem Bayerischen Wald kommt oder besser gesagt dem, was noch davon übrig ist: Man nimmt also die Reste von "Heimat" und dreht sie ein Stück weit durch den Fleischwolf - mit Richtung Metal gesteigerten Traditionsklängen und mit Hilfe von Herbert Pöhnls fein beobachtenden Texten. Die "Hinterbayern", vier Musiker und ein Mann des Wortes (Pöhnl ist Autor und Fotograf), leiden am mehr oder weniger schleichenden Heimat- und Identitätsverlust also auf schön offensive Art und Weise: Sie hauen als "OriginalWaidlaBuamShowBänd" musikalisch drauf auf den bayerischen Bierzelt-Konsens-Krach, vergewaltigen eine unschuldige Gitarre (Christoph Pfeffer) derart, dass sie wie ein Waschbrett ächzt und überall Wundpflaster trägt; prügeln beim Schlagzeug (Johannes Maria Haslinger) fast nur auf der Basstrommel, spielen die Ziach (Roland Pongratz) zur Not auch mal so, als wäre Hans Albers auf dem Königssee unterwegs, spielen die Posaune (Anderl Weiß) schön mit Schlagseite, weil´s so gut zum bezechten Gesang passt. In der Übersteigerung des Vorgefundenen finden sie ihre Form, ihre Flucht nach vorne. Es ist ja auch kaum zu ertragen, was Herbert Pöhnl da mit fein gezeichnetem Spott beschreibt: Die ewigen "palastartigen Feuerwehrhäuser", die "eindrucksvollen Pflüge auf den Doppelgaragen", die "angedübelten Dreschflegel" an den Wänden - all diese vollkommen missverstandenen Ausdrucksformen angeblicher Heimatverbundenheit. Pöhnl führt im Wechsel mit dem musikalischen Säbel der Musiker das Florett. Spricht wie ein zu spät gekommener Poet vom "Gesang der Gartengeräte", der den Gesang der Waldvöglein längst abgelöst hat. Spart auch die pervertierte ländliche Strukturpolitik nicht aus, wenn er davon kündet: "Ein Regio-Manager hat die Dörfler im Kampf gegen sich selbst beraten." Er spürt mit solchen Beobachtungen "letzte Dorftrümmer" auf, lässt auch mal einen Heimatsuch-Hund von der Leine, trauert mit Gespür fürs längst Verlorene. Als Gesamt-Performance versuchen die "Hinterbayerischen", den Nicht-Waldlern irgendwie nahe zu bringen, wie sie ticken und woran sie unheilbar leiden - zwischen zum Erlebnisparkplatz umfunktioniertem Dorfanger und "Rehbock-Ragout, vom Öko-Jäger erschossen". Zwischen dem, was "Brauchtum" sein soll und doch nur Vermarktungsstrategien beinhaltet: Da wird auf dem Mittelalter-Markt "ein Pferd hinten 50 mal beschlagen und vorne schwindlig gestreichelt", und wenn der "Wolfausläuter" im ausgehenden Winter an der Haustür klopft, dann zahlt man besser. Zwischen den Zeilen und den Heavy-Metal-Gebärden wird freilich auch sichtbar, dass die fünf Mannsbilder aus dem fiktiven(?) Dorf Hinterkirchreuth nicht anders können, als ihre Heimat verzweifelt zu lieben, sie sozusagen Zähne fletschend zu verteidigen, noch im entstelltesten Zustand womöglich. Diese Form von Heimatkunde protokolliert, sie beschreibt, schaut hin - und weiß doch: Ein Entkommen wird es nicht mehr geben. Darauf ein schmerzstillendes Prosit - was sonst?
THOMAS LOCHTE
THOMAS LOCHTE
Thomas Lochte, 12.03.2015
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.