Nach(t)kritik
Uwes Welt
Veranstaltung: Uwe Steimle: HeimatstundeKabarett kann ganz schön viel Kalkül enthalten, in Bezug auf Pointendichte und erwartbare Lacher zum Beispiel – schließlich geht’s ja in erster Linie um Unterhaltsamkeit und bestenfalls „nebenbei“ um Erhellendes oder gar Aufklärung. Beim Leipziger Uwe Steimle und seinem Programm „Heimatstunde“, im bosco überwiegend positiv aufgenommen und von einigen Ost-Patrioten im Publikum geradezu frenetisch gefeiert, wurden nicht nur Erwartungen aller Art bedient, sondern auch tüchtig die Klischees zementiert – fangen wir mit dem wohlfeilen Sachsen-Dialekt an, der sämtliche Nicht-Sachsen zuverlässig zu amüsieren vermag, weil er sich vor allem für Wessi-Ohren so schön deformiert und damit provinziell anhört: Steimle beutet dieses einfachste aller Spaß-Muster natürlich genussvoll aus, indem er Worte wie „Dämmsä“ (Themse) oder „Schlübber“ (Schlüpfer) einstreut oder aus dem „Nicki“-Pullover (West-Jargon) ein „Niggi-Dischört“ (Ost-Gebrauch) macht: "Sou saacht da Sochse!" So weit, so witzig – schließlich liefert sich ein Ossi damit dem Überlegenheitsdünkel aller Wessis schon mal freiwillig aus. Steimle thematisiert diese notorische West-Überheblichkeit im Laufe des Abends dann genauso wie die Selbstverzwergungshaltung seiner Landsleute, aber wo seine Sympathien liegen, das wird dann schon auch spürbar: Dort nämlich, wo sich harmlose Sachsen-Schrulligkeit schleichend zur selbst-inszenierten Pose der ewig Verarschten wandelt. Immer wieder betont der Leipziger, Jahrgang 1963, wie heldenhaft das doch alles gewesen ist mit der „Revolution“ von 1989 und dass „die im Westen mit 40 Jahren mehr Demokratie-Erfahrung“ so gar keinen Schimmer hätten, was damals geleistet wurde und wie überhaupt das Leben in der „DDR“ ausgesehen hat; und immer wieder schlägt Steimle locker den Bogen zu jenen, die heute in Dresden und andernorts aus ganz anderen Motiven auf die Straße gehen – für ihn scheint das nahezu gleichwertig zu sein: Leichte Anti-Merkel-Rempler und das Pegida-Geschwätz von der angeblichen „Volksverräterin“ übernimmt er geschmeidig in seine eher drolligen Ossi-Nörgeleien, als wäre nichts dabei. Die seiner Ansicht nach lethargischen „Wessis“, die sogar den von den Amis betriebenen Allende-Mord in Chile 1973 klaglos hingenommen haben, fordert er auf: „Wir haben unsere Revolution schon gemacht - jetzt seid ihr mal dran!“
Uwe Steimle geht also mit den kollektiven Defiziten seines „Volksstamms“ hausieren und macht mehr oder weniger lustiges Kabarett draus. Doch ganz so einfach läuft die Chose nicht, vor allem wenn man in den „alten“ Bundesländern auftritt: Da gibt es jede Menge peinlich-dumme Belehrungsversuche von West-Seite, aber auch viel blankes Unverständnis, weil ja die Biografien so unterschiedlich sind. Es ist gut, wenn Steimle sich darüber auskotzt und noch komische Funken draus schlägt, aber es ist anstrengend, wenn er bei der Benachteiligten-Rolle zu dick aufträgt und sein Leitthema „Heimat“ als rettendes Modell „gegen den Globalisierungsirrsinn“ verkauft. Das wird dann doch etwas miefig und so gar nicht nostalgisch, auch wenn die erwähnten „Patrioten“ im bosco jeden DDR-Insider-Ausdruck bejubeln, als gäbe es wieder „Bliemschengoffee“. Selten glückt hier ein etwas subtilerer Humor, etwa wenn er über „Mittagskinder“ erzählt und sich den schönen Schlenker gestattet: „Das sind Kinder, die mittags abgeholt werden – von den Müttern und nicht von der Stasi.“
Ansonsten hat sich der Uwe aber in „seiner“ Welt ganz kommod eingerichtet. Der Sachsen-Landsmann wird als manchmal ein wenig schwer von Begriff, aber jederzeit wehrhaft skizziert: „Wir sind nicht nachtragend, aber wir vergessen nichts.“ Genau so geht das Kalkül rund um Dresden offenbar – man stilisiert sich zum ewigen Widerstandshelden, im Zweifelsfall war man aber auch immer das Opfer. Und die „Besserwessis“? Haben sowieso keine Ahnung, wie es in so einem geschundenen Sachsen-Herz aussieht, und müssen von Steimle ihrerseits noch belehrt werden, wie man den sogenannten „Volkswillen“ laut genug artikuliert. Zum Vorschein kommt dann auch bei Steimle jenes unsortierte Unbehagen, das angeblich „besorgte Bürger“ manchmal zu Fremdenfeinden und sogar Rassisten werden lässt. Steimle deutet diese Angst vor Überfremdung zwischendurch nur an, aber er kann sie offenbar gut nachvollziehen und billigt sie auch ohne jede Selbstkritik – an einer Stelle verwahrt er sich dagegen, solche angstgeprägten Sachsen-Menschen pauschal als „Nazis“ zu diskreditieren – was er dabei in Kauf nimmt, ist die dulderische Nachbarschaft, um nicht zu sagen den Schulterschluss von Nicht-Nazis und Nazis. Man mag Steimle den Scherz von der „Besatzungsmacht“ (= der Westen) bald gar nicht mehr als Scherz abnehmen, so sehr scheint er tatsächlich darunter zu leiden. Und das durchaus auch vorhandene sächsische Hinterwäldlertum, Nährboden für allerlei aktuelle Auswüchse der Intoleranz, es wird von ihm nur als possierlich geschildert. Chemnitz – war da was? Steimle mokiert sich darüber, wenn die Presse über „Umsturzpläne“ zum 3.Oktober schreibt. Hat er da nicht die mediale Bewertung mit den eigenen Aussagen der verhafteten Rechtsterroristen verwechselt? Dass er die ZDF-Moderatorin Marietta Slomka als „Marionetta Slomka“ verhöhnt, geht ohne jeden Beweis in Richtung Lügenpresse-Gepöbel und ist bedenklich. Als freie Meinungsäußerung ist es aber auch sein gutes Recht, und Satire bzw. Kabarett darf sowieso „alles“. Steimle meint das allerdings ernst, und da hört der Spaß buchstäblich auf. Drolliges Sächsisch und Kindheitserinnerungen an die Oma retten das dann auch nicht mehr. Nur die Sachsen-Fraktion im Saal fand´s in Uwes kalkulierter Welt ganz wunderbar.
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