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Nach(t)kritik

Do, 19.10.2023
20.00 Uhr

Verschüttete Wühlmäuse und anderes Tierisches

Veranstaltung: Lars Reichow: Wunschkonzert

„Eigentlich ist es verrückt angesichts der gegenwärtigen Weltlage, jetzt einen unterhaltsamen Abend miteinander zu verbringen“, konstatiert Lars Reichow gleich zu Beginn seines Gautinger Gastspiels, um dann unter großer Zustimmung des anwesenden Kabarettpublikums zu beschließen, dass genau ein solcher Abend davor bewahren kann, verrückt zu werden. „Es ist wichtig, sich wenigstens mal kurz zu entspannen.“ So bleibt die Weltpolitik einmal ausgespart - von einer ebenso knappen wie scharfen Bemerkung zu Söders Wahlkampf einmal abgesehen: dass Söder die Grünen in einem Atemzug mit der AfD als größte Gefahr bezeichne, sei „eine Unverschämtheit!“

„Wunschkonzert“ - der Titel gibt den Takt vor. In unterhaltsamem Wechsel von Erzählung und Gesang spaziert Reichow einmal quer durch seinen Alltag, gibt Einblicke in sein Ehe- und Familienleben und offenbart auf diese Weise quasi en passant einiges vom Zustand bundesdeutscher Gegenwart. Die Geschichte beispielsweise, wie er und seine Familie zum Hund und damit auf den Hund gekommen sind: er war eigentlich dagegen, seine Frau hat es ihm aber argumentativ überzeugend dargelegt mit einem kräftigen „Doch“. Gemeinsam hat sich die Familie dann für einen Hilfseinsatz entschieden und ein Tier aufgenommen, dem die „frühere Tätigkeit als Straßenhund“ noch deutlich anzumerken war. Nachdem die Kinder aus Sicherheitsgründen zu den Großeltern evakuiert wurden, konnte das Ehepaar Reichow das caritative Engagement im Tierbereich noch deutlich ausweiten, sich um verschüttete Wühlmäuse kümmern oder dementen Eichhörnchen beim Suchen vergessener Nussdepots behilflich sein. Natürlich ist die Geschichte etwas ausgeschmückt worden, denn: „Wir haben in Wirklichkeit eine Katze.“

Die Steigerung ins Absurde ist System. Erst langsam, dann immer wilder schraubt Lars Reichow seine Geschichten hoch und lässt sie immer noch eine Spur verrückter, abgedrehter werden, bis im Wahnsinn die Beobachtung sichtbar wird. Als Tierliebe verkappte Weltverbesserungsambitionen stehen dabei ebenso symptomatisch für gegenwärtige Befindlichkeiten wie ein gewisses Überlegenheitsgefühl gegenüber Nachbarn, seien es die im privaten Umfeld oder jene im europäischen Raum wie die aus der EU gegangenen Briten. „Wenn´s daheim nicht so rund läuft, hilft es, dorthin zu schauen, wo es noch schlimmer ist“, erklärt Lars Reichow dieses Phänomen.

Was in den Geschichten ausführlich bis episch gerät, wird in den mal am Klavier, mal am Keyboard in oft atemberaubendem Tempo gesanglich auf den Punkt gebracht. Der Song zur WM in Quatar beispielsweise oder „Ich“, Titelsong des aktuellen Programms - beide besitzen musikalische wie sprachliche Ohrwurmqualität. In beiderlei Hinsicht ist Lars Reichow ein Virtuose. Vor allem sein Stilbewusstsein im Umgang mit Sprache zeichnet ihn aus. Da verzeiht man ihm auch die Verwendung eher klassischer Rollenbilder in den Familien- und Ehenummern. Wenn er von seinen Führungsqualitäten beim Autofahren beispielsweise berichtet und dass er sich da mehr Beifall wünsche für seine Einpark-Künste, dann ist das vermutlich auch eine Rolle, nämlich die des Boomer-Mannes, der hinsichtlich der Gleichberechtigung und Geschlechter-Toleranz noch im Stadium des Übens ist. Immerhin ist dieser Figur klar, dass sie sich einen Satz wie „Du schläfst in der Küche“ gegenüber der Ehefrau nicht mehr leisten kann. Und das ist doch auch schon was.

Sabine Zaplin, 20.10.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 19.10.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.