Nach(t)kritik
Von Bürgern mit Frustrationshintergrund
Veranstaltung: Lisa Catena: Gruezi Deutschland„Keine Sorge, morgen bin ich wieder weg.“ Das war als Trost für die AfD-Wähler im Gautinger Publikum gedacht. Aber von wegen. Diese Ausländerin werden wir wohl so schnell nicht mehr los: Die Schweizer Senkrechtstarterin in Sachen Polit-Kabarett Lisa Catena hat jetzt sogar eigens für uns ein Programm geschrieben und schickt sich gerade an, damit auch in Deutschland einen Preis nach dem anderen abzusahnen. Und von wegen neutrale Schweiz: In „Grenzwertig“ wird scharf geschossen.
Die 36-jährige, nach eigenen Angaben Tochter von Ex-Hippies und selbst Ex-Waldorf-Schülerin und Ex-Punkerin, bedient so ziemlich alle Klischees, die einem über Schweizer und Deutsche einfallen – und noch eine ganze Menge mehr. Dass man ihr trotzdem bis zur letzten „Pointe aus Freilandhaltung“ so gerne folgt, das liegt vor allem an ihrer unverbrauchten, höchst sympathischen Art und an der ehrlichen Botschaft, die sie dabei hat: Wir sollen doch bitte unseren Humor nicht verlieren angesichts von Salafisten, Impfgegnern und anderen Extremisten. Oder auch: „Make assholes small again.“
Überhaupt gäbe es doch so Vieles, was die Schweizer und die Deutschen verbindet. Wir haben die Flüchtlinge, die Schweizer müssen unsere Ossis integrieren. Das fängt dann schon mit dem Sprechtempo an: Gar nicht so einfach, wenn der sächsische Kellner das Essen schon gebracht hat, bevor der einheimische Gast mit seiner Bestellung fertig ist. Aber abschieben kommt nicht in Frage, denn angesichts von Pegida ist Sachsen längst kein sicheres Herkunftsland mehr. „Bürger mit Frustrationshintergrund“ gibt es nicht nur bei uns, sondern auch in der Schweiz. Und der „Phrasomat“, den Lisa Catena als „Nachbau“ vorführt, funktioniert bei den eidgenössischen Politikern ebenso wie bei unseren: Man kombiniere beliebige Phrasen mit den immer gleichen Gesten zu einer Grundsatzrede, die aus nichts als heißer Luft besteht.
Aber es gibt durchaus auch Unterschiede. Die Ergebnisse ihrer „Röscherche“ über uns Deutsche hat Lisa Catena mit Schweizer Gründlichkeit in einem schwarzen Notizbuch zusammengetragen. Wenn sie das zückt, wird es echt peinlich für uns. „Sie sind fast überall Weltmeister“, bescheinigt sie uns, „auch beim Birkenstock tragen.“ Beim Alkoholkonsum liegen wir nur im Mittelfeld, verbringen aber durchschnittlich drei Jahre unseres Lebens im Badezimmer und 9,5 Stunden täglich mit Medienkonsum. Vielleicht gibt es auch da zeitliche Überschneidungen? Wie würden wir sonst noch die Zeit finden, um unserer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, nämlich der Gartenarbeit. Und schließlich die Sache mit Wilhelm Tell: „Wir haben uns eine Menge Ärger erspart, dass wir den Österreicher verjagt haben. Aber wem sage ich das.“
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.