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Nach(t)kritik

Di, 05.11.2019

Von Lebenslauf zu Lebenslauf

Veranstaltung: Tatu Theater: "Asip & Jenny" von Angela Schneider

Mit dem Laufen ist es so eine Sache: man kann vor etwas davonlaufen, manchmal muss man das sogar; man kann im schlimmsten Fall um sein Leben laufen; und man kann um die Wette laufen, um die Bestzeit bei einem Wettbewerb. Asip macht genau das. Er trainiert für die Stadtmeisterschaft und hat dabei ein großes Ziel vor Augen: er möchte für Österreich bei den Olympischen Spielen antreten. Und dabei ist er gerade erst angekommen in diesem Land, das noch nicht weiß, ob es ihn überhaupt behalten will. Asip ist mit seiner Mutter und den Geschwistern aus Afghanistan geflohen.

Jenny läuft eher vor allem davon. Vor der Mutter, die sich mehr für ihre Karriere als Opernsängerin interessiert als für ihre Tochter. Vor der ganzen Situation daheim, wo sowohl Jennys leiblicher Vater als auch ihr Stiefvater sich aus dem Staub gemacht haben. Und vor der ganz großen Enttäuschung, die ihr die beste Freundin bereitet hat, als sie Jenny den Freund ausgespannt hat. Jenny hat keine Ziele mehr außer einem: von der Brücke in den Fluss springen. Genau in diesem Moment läuft Asip beim täglichen Training mitten hinein in Jennys Leben.

Mit „Asip & Jenny“ von Angela Schneider erzählt das Tatu Theater aus Salzburg vor Gautinger Schülern eine besondere Pubertätsgeschichte. Denn beide, Jenny wie Asip, sind etwa 13 Jahre alt und haben allen Grund, an ihrem Leben zu verzweifeln. Dieses Gefühl, den Weg nicht mehr erkennen zu können, ganz allein auf der Welt zu sein, teilen sie mit vielen Gleichaltrigen. Während Jenny jedoch vor allem um sich kreist, gelingt es Asip, mit seinem Interesse an ihr und seiner Beharrlichkeit, sie für das Leben zurückzugewinnen. Erst viel später bemerkt Jenny, dass Asips Leben tatsächlich eine Tragödie ist und er dennoch einen Weg gefunden hat, damit zurechtzukommen. Am Ende laufen die beiden gemeinsam.

Sonja Zobel spielt Jenny; sie stattet sie mit einer gehörigen Portion Null Bock und Frust aus, mit fast trotziger Agilität und einer großen Spur Kindlichkeit. Während sie eher noch jünger als 13 wirkt, könnte Alaaeldin Dyab als Asip durchaus auch schon älter sein. Er ist ernster, zielstrebiger; Dyab verleiht ihm eine überzeugende Körpersprache. 

Caroline Richards und Wilhelm Iben setzen in ihrer Inszenierung in erster Linie auf den Dialog. Immer wieder führen sie die beiden Figuren an den Ort der ersten Begegnung, an die Brücke, von der Jenny beinahe gesprungen wäre. Nichts als ein niedriges Geländer und einen Rucksack geben sie den beiden an die Hand und zwingen sie auf diese Weise zur wortgeprägten Interaktion. Kurze Filmsequenzen werden zu Übergängen zwischen den Szenen, schaffen zeitliche und auch schon mal räumliche Distanz. Die medialen Mittel wirken wesentlich stärker geführt als die analogen Szenen, denen zuweilen die Leichtigkeit und Spontaneität einer Improvisation anhaftet. Von einigen Längen in der ersten Hälfte und einigen Plattitüden in den Dialogen einmal abgesehen, kann „Asip & Jenny“ gerade durch seine Unmittelbarkeit die jugendlichen Zuschauer für das Thema des Stückes gewinnen und zum Nachdenken, Weiterdenken anregen.

Sabine Zaplin, 05.11.2019


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.