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Nach(t)kritik

Fr, 11.12.2015
20.00 Uhr

Von Pferden und Pferdekopfgeigen

Veranstaltung: Sedaa: Zwischen Orient und Mongolei

„Vor sieben Jahren haben wir uns auf einem Festival getroffen, beschlossen eine Gruppe zu gründen und neue musikalische Wege zu gehen.“ Was drei Mongolen und einen Iraner zusammenführte, nennt sich seither „Sedaa“ (Stimme) und ist ein ziemlich aufregendes Crossover aus schamanischen Klängen, flott arrangierten Traditionals und melancholischer Liebeslyrik. Allein die zum Einsatz kommenden Instrumente künden von den Jahrtausenden, die diese musikalischen Elemente auf dem Buckel haben: Nasaa Nasanjargal spielt die auch äußerlich als solche erkennbare Pferdekopfgeige Morin Khuur, deren zwei Saiten aus Rosshaar einen hohen, charakteristisch melancholischen Streicherton erzeugen. Ganzorig Davaakhuu bedient dazu eine mongolische Hackbrett-Form, während Naraa Naranbaatar sozusagen den „Pferdekopf-Bass“ zupft und streicht – und inmitten dieser drei „mongolischen Gewichte“ behauptet sich in Omid Bahadori die persische Note durch Gitarre, Cajon und Rahmentrommel. Doch das eigentliche Ereignis bei „Sedaa“ sind die Naturlauten nachempfundenen Stimmen: Obertongesang, Untertongesang, und der Kehlgesang „Hömii“ erheben sich über diesem instrumental ausgebreiteten Boden mit hypnotischer Kraft. Vor allem Naranbaatar gelingt es, mehrere Töne zugleich zu erzeugen, indem er sie abwechselnd wie ein Blasebalg langsam von unten entweichen lässt oder sie als Kopfstimme durch den kaum geöffneten Mund presst – es entsteht ein in den Tiefen an Didgeridoos erinnernder schamanischer Klang, der wiederum in der helleren Pferdekopfgeige eine kontrastierend zarte Gegenspielerin findet. Soweit die mongolische Steppe. Wenn aber persisches Liedgut vorgetragen wird, ordnen sich diese Instrumente unter, wirken wie treue Reisebegleiter in fremden Gefilden: Omid, der Perser, folgt umgekehrt dem fernöstlichen Ritt, als wäre dies eine nachbarschaftliche Selbstverständlichkeit. Überhaupt geht es in beiden musikalischen Kulturen sehr häufig um Pferde, die es zu zähmen gilt, manchmal auch um Kamele oder gar um weit entfernt lebende, sehnsuchtsvoll vermisste Frauen: Das Tempo der Stücke und ihre suggestiven Klangbilder scheinen immer wieder von diesen zu überwindenden weiten Ebenen oder dem Altai-Gebirge zu erzählen und von kleinen, wendigen Pferden und ihren Trippelschritten. Kinobesuchern ist vielleicht noch der Soundtrack zur "Geschichte vom weinenden Kamel“ (2003) im Ohr, auf dem zu solchen Bildern Naraa Naranbaatars eindrucksvoller Gesang zu hören war. Dass zumindest drei der vier Musiker gut Deutsch sprechen (Naraa mit leicht hanseatischem Einschlag) und Davaakhuu von Omid als „waschechter Wiener“ vorgestellt wird, verblüfft da einigermaßen.
Das Publikum im Bosco war hin und weg von diesem Zauber und mochte die sympathischen Musiker kaum ziehen lassen. Vermutlich warteten aber draußen bereits ihre wendigen Pferde.

Thomas Lochte, 12.12.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 11.12.2015 | © Copyright: Werner Gruban