Nach(t)kritik
Von taiwanesischen Baumfroscharten
Veranstaltung: Dagmar Schönleber: Die Fels*in der BrandungMit dieser Frau sollte man sich wirklich gut stellen, denn sie könnte eines Tages Deutschland regieren: Dagmar Schönleber aus Lemgo, Nordrhein-Westfalen, arbeitet zwar bis auf Weiteres noch als Kabarettistin, aber als „Fels*in der Brandung“, so ihr Programm-Titel im bosco, hat sie einfach die allerbesten Voraussetzungen, um das ach so krisengeplagte Land auf Vorderfrau zu bringen. Nicht nur, dass die 48-Jährige für uns allerhand Deeskalationstipps parat hält und die modischen Begrifflichkeiten wohltuend runterregelt („Computer, Thermomix – alles Zeitenwende!“), sie sortiert auch zwischen echten Problemen und eingebildeten und erklärt mal eben den Dunning-Kruger-Effekt: Der beschreibt den Zusammenhang zwischen Unwissenheit und enormer Selbstüberschätzung und lässt sich am Beispiel von Verschwörungsschwurblern aller Art prima belegen – ganze „Wandergruppen auf dem Weg zum Mount Stupid“ hat die Dagmar geortet, die lassen sich mit der Wandergitarre und dem Lied vom „Gipfel der Dummheit“ gar trefflich besingen.
Bei Frau Schönleber wird auf eine sehr angenehme Art Klartext gesprochen, sie formuliert so genau, dass sich komödiantische Überhöhungen oder Ironisierungen fast erübrigen – Kostprobe, an alle Dauernörgler auf hohem Niveau gerichtet, die immer nur die eigene geistige Unbeweglichkeit und Saturiertheit spiegeln: „In den meisten Fällen können wir es uns als Erste-Welt-Land ja noch aussuchen, wie wir mit Krisen und Katastrophen umgehen.“ Zack! Das sitzt, ganz unaufgeregtes Leviten-Lesen – Tenor: Macht mal halblang, ihr Wohlstandsbürger! Zur weiteren Entspannung schickt sie noch vor der Pause ein Lied nach der Melodie von „Hey Jude“ hinterher: „Mehr Wut“, zum Mitsingen. Nach der Pause dann gleich eine weitere, sogar im Freakout-Modus getanzte Lockerungsübung mit „Paderborn is high“, frei nach „Born To Be Alive“ – Dagmar, die rothaarige Vortänzerin, die Fels*in.
Es folgt eine gut beobachtete Anylse zeitgenössischer Krisenbewältigungsstrategen: Da gibt es die „Prepper“, die allzeit Bereiten, die praktisch in Nato-Farben rumlaufen, um ihren Einsatz nicht zu verpassen; die „Selfcare“-Arschlöcher, von denen ein Donald Trump eine ganz spezielle Daseinsform mit nationalistischer Note abgibt – und die Esoteriker, die „Rosenquarz statt Realität“ propagieren, die Augen vor allem Übel verschließen und fragen: „Ist das so in deiner Welt?“ Schönleber nennt sie alle beim Namen und wird als "Fels*in" auch mal massiv, indem sie die Sprüche auf Reformhaus-Teepackungen vertauscht – da steht dann an Stelle erbaulichen Gesäusels auf einmal: „Kommaklar, Alte!“ oder „Auch ein herabschauender Hund kackt auf deinen Rasen!“
Wunderbar geschmeidig bringt sie ihre Objekte zur Strecke, und wenn ausgerechnet ein mit Anglizismen arbeitender Popstar wie „Scooter“ gegen das Gendern mit angeblichem Schaden für die deutsche Sprache anargumentiert, hält die flotte Dagmar aus NRW ihm einfach nur sein „Hyper! Hyper!“ vor die Nase. Mit ihren bald 50 Jahren „Bindegewebe gegen Schwerkraft“ schont sie sich und das eigene Geschlecht aber keineswegs: Die Qualen der weiblichen Wechseljahre beschreibt sie mit einem Szenario, das es den ahnungslosen Männern jeoch noch ein wenig heimzahlt. Erschafft in ihrem Körper den „Typen an der inneren Schaltzentrale“, der „abwechselnd zugekokst oder rotzbesoffen“ ist. Ja, jetzt können wir mitreden. Und wir verstehen auch, was es mit dieser taiwanesischen Baumfroschart auf sich hat, die immer in Röhren kriecht, um das eigene Gequake gewaltiger erscheinen zu lassen.
Dagmar Schönleber, zweifellos auf dem Weg zur „Königin von Deutschland“, singt uns wie weiland Rio Reiser noch ein Liedchen, in dem die Macker nur noch mit der Carrera-Bahn fahren dürfen, wenn sie erst mal den Thron bestiegen hat. Und auf Facebook soll es dann nur noch gereimte (Hass-)Botschaften geben: "Den Kretschmann – zerquetsch mer´n!“ Oder so ähnlich. Am Ende dieses charmanten Abends lässt Her Majesty in spe sich Apfel und Zepter (eine bunte Riesenklobürste) reichen, als künftige Insignien ihrer Macht. God save the Queen!
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.