Nach(t)kritik
Wahres um Rares
Veranstaltung: Stephan Zinner: RaritätenManchmal, sehr selten noch gibt es diese kleinen Läden mit den blinden Scheiben, hinter denen in der Auslage auf einmal diese Perle liegt, dieses schon fast vergessene kleine Ding. Man geht hinein, mitten hinein in den seltsamen Glockenton, der beim Öffnen der Tür erklingt, schaut sich die Auslage genauer an und spürt, dass man dabei beobachtet wird. Man dreht sich um, und da steht er dann, dieser seltsame Mann, von dem man nicht so genau weiß, ob man ihn sich nicht gerade ausgedacht hat. Den Mann mit dem lauernden Blick, der einem beim Anschauen zusieht. Dann macht er den Mund auf und spricht etwas in einer fremd klingenden Sprache, und jetzt weiß man schon, dass er echt ist. Aber verstehen tut man ihn trotzdem nicht, jedenfalls nicht sofort.
Dieses Bild hat die Schreiberin dieser Zeilen vor Augen, wenn sie wenige Stunden nach Verlassen des bosco zurückdenkt an das soeben gesehene neue Programm von Stephan Zinner, das den Titel „Raritäten“ trägt. Es ist ein ungewöhnliches Programm, beinahe eine Art Sammelsurium, eben so wie in einem Trödlerladen, wo das Grammophon neben dem Wackeldackel steht. Das, was rar geworden ist, hat der Musik-Kabarettist zusammengetragen. Aufmerksame Kellner. Bienen. Ganz einfacher Kaffee mit „Muich“. Den zum Beispiel kann man in München eigentlich nicht mehr bestellen, ohne schief angesehen zu werden - „Das kann die Maschine nicht“, „Sie sind aber ein schwieriger Kunde“. In Zeiten, wo jeder dritte in seiner Freizeit einen Barrista-Kurs absolviert und Vorträge hält über Kaffeeanbau und Röstmethoden, grenzt der Wunsch nach einer einfachen Tasse Kaffee schon an Verrat am gängigen Ernährungsbewusstsein.
Auch rar geworden ist das Zerschlagen von Gitarren auf Konzerten. Zinner erinnert sich daran, wie er als Schüler damit die Mädchen beeindrucken wollte. Nun traf es sich, dass er in der Kirchenband spielte. Bei einem Auftritt kam dann sein großer Moment: er folgte der Eingebung, nahm die Gitarre und hämmerte sie mit vollen Rhythmus-Bewusstsein und aller Kraft auf den Altar. Kam nicht so gut an.
Die verbliebenen vier Saiten sind die Basis eines der vielen kuriosen Instrumente, auf denen an diesem Abend Musik gemacht wird. Raritäten hat auch Peter Pichler in seinem Equipment. Die „Krake aus Bad Tölz“ ist an diesem Abend der musikalische Kompagnon, versteckt hinter einer runden Sonnenbrille und einer mächtigen Tuba, könnte er tatsächlich der oben beschriebene Tandler sein. Wenn er am Ende auf einem feenharfen-ähnlich klingenden Blasinstrument Stephan Zinner beim Song „Seltene Sachen“ begleitet, findet das Programm zu einem äußerst poetischen Abschluss.
Überhaupt die Musik, auf seltenen wie auf gängigen Instrumenten, ist eine wichtige Tragsäule des Abends. Denn nicht nur Peter Pichler, sondern bekannterweise auch Zinner selber ist ein exzellenter Musiker, mit hinreißender Balladenstimme. Songs wie „Wir müss´n baun“ oder den bittersüßen Abgesang auf die seltsame Kommunikation mit Bluetooth-Geräten, gehen herunter wie guter Wein.
Eine Ansage, die auf dem Tapetentisch voll Dachbodenschätzen beinahe etwas in den Hintergrund geraten sein könnte, macht Zinner gleich zu Beginn. Sie muss wie eine Grundüberzeugung gedeutet werden: „Hier wird nicht gelogen“. Alles, wovon dieser Schauspieler-Sänger-Poet berichtet, vielmehr erzählt - so als säße man neben ihm in einer Lieblingskneipe -, ist dem eigenen Leben abgerungen. Wird betrachtet, auf den Punkt gebracht und mit einem liebevollen Lächeln versehen. Und auch das ist rar.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.