Nach(t)kritik
Was flüstert da aus der Schublade?
Veranstaltung: Lutz Großmann: "Geschichten gegen die Angst" nach dem Buch von Linde von KeyserlingkDie Angst ist eines der großen Gefühle, das sich von der frühesten Kindheit bis ins hohe Alter zieht, ein Gefühl, das jeder kennt und das wohl ein ganzes Leben lang immer wieder in Erscheinung tritt. Dabei muss Angst aber nicht zwingend immer eine negative Auswirkung haben. „Wer keine Angst hat, kann auch nicht mutig sein“, schreibt Linde von Keyserlink in ihrem Buch „Geschichten für die Kinderseele“, auf dem das Theaterstück des Schau- und Puppenspielers Lutz Großmann basiert. Und mutig sind die Kinder, die Großmann gebannt an den Lippen hängen, wohl allemal.
Vor einem aufmerksamen und mitmachfreudigen Publikum, bestehend überwiegend aus Kindern aber auch aus deren ebenso gebannten Eltern, erzählt Großmann auf der kleinen Bühne vom Mut, die eigene Angst als solche zu erkennen und mit dieser umzugehen. Dafür holt der Schauspieler seine ‚Angstkommode‘ zu sich, ein Möbelstück mit vielen Schubladen in verschiedenen Größen. Denn „Geschichten kann man holen“, mit diesen Worten werden drei der Schubladen vorsichtig geöffnet und in jeder darin liegt eine kleine Geschichte über verschiedenen Ängste.
Da gibt es Nadja, die nicht schlafen kann weil sie sich vor der Dunkelheit fürchtet, dann aber über das Wohlwollen der Nacht erfährt und zur nächtlichen Ruhe finden kann. Dann gibt es auch Thomas, Silke und Stefan, denen von den bösen Gespenstern Quasselstrippe, Klatschbase und Plappermaul Zweifel ins Ohr geflüstert werden, so dass sie ihr Selbstwertgefühl und ihre Selbstsicherheit verlieren, bis sie die bösen Gespenster als solche enttarnen und auffliegen lassen, so dass diese wieder auf ihre Regenrinne zurück müssen und sich dort schämen. Und zuletzt geht es noch um Bärhirsch und Hirschbär, die beiden Kinder von Mutter Bär und Vater Hirsch, deren Eltern sich plötzlich nicht mehr lieben und die nun Angst bekommen, sie würden von ihren Eltern auch nicht mehr geliebt, am Ende aber in einem positiven Scheidungsszenario von beiden nun wesentlich freieren und entspannteren Elternteilen ausgeglichen Liebe und Zuneigung erfahren.
Von diesen doch schweren, teilweise zeitlosen, teilweise gesellschaftlich aktuellen Themen berichtet der Schauspieler in einer wunderschönen Leichtigkeit, die nicht nur bei den zuschauenden Kindern innerlich auf den eigenen Mut stolz macht, sich bekannten Ängsten immer wieder zu stellen. Großmann bedient sich minimalistischer Mittel, was die unfassbare Größe des Geschichtenerzählens beweist und unterstreicht, das Meiste darf durch die Fanstasie und das Vorstellungsvermögen der Kinder (und eben auch der Erwachsenen) in den eigenen Köpfen entstehen. Großmann nutzt nämlich neben der Kommode als kleine Bühne nur bunt zusammengewürfelte Stoff- Holz und Plastiktiere und -puppen, wie sie in jedem Kinderzimmer zu finden und zusammenzusetzen wären. Daraus entsteht am Ende der Appell an das Geschichtenerzählen im Aufruf an die Kinder, doch zuhause in ihren Zimmern selbst mal eine Schublade zu öffnen und sich eine Geschichte gegen die Angst auszudenken.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.