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Nach(t)kritik

Fr, 26.04.2024
20.00 Uhr

Weltverbessern und Spaß dabei

Veranstaltung: Sarah Hakenberg: Mut zur Tücke

Es muss wohl in den Monaten nach der Corona-Pandemie gewesen sein, jener Zeit also, als Künstlerinnen und Künstlern auf besonders subtile Weise klargemacht wurde, dass ihre Arbeit eigentlich von eher geringer Bedeutung ist (durch interessant begründete Rückforderung von Neustarthilfen beispielsweise). Jedenfalls beschloss die Bühnenkünstlerin Sarah Hakenberg, sich beruflich neu zu orientieren und begann, ein Bewerbungsprofil zusammenzustellen: „Was kann ich? Lieder schreiben, Klavier spielen und dabei in eine andere Richtung schauen…“ Die Stelle bei der Stadtverwaltung hat sie trotzdem nicht bekommen, aber es wurde ein großartiges Lied aus dieser Idee.

Dabei kann Sarah Hakenberg tatsächlich so viel mehr, so dass man dem Personalbüro jener Stadtverwaltung äußerst dankbar sein muss. Denn niemand kann so charmant, witzig und intelligent Pläne fürs Weltverbessern schmieden - und diese dann noch konstruktiv dem Publikum servieren - als sie, wie ihr neues Programm beweist. „Ich habe Großes mit euch vor“, verkündet sie gleich zu Beginn und krempelt die Ärmel auf, „seid ihr bereit?“ Und als der Saal einstimmig bejaht, schob sie sehr pädagogisch hinterher: „Wer hat Ideen?“

Die beste Antwort auf ideenloses Schweigen stellt bekanntlich Professor Google bereit. Und natürlich ist Sarah Hakenberg dort fündig geworden. Google schlägt vor, bei der Weltverbesserung unbedingt darauf zu achten, dass man auf Methoden setzt, die einem selber Freude machen. „Mir zum Beispiel macht sehr viel Freude“, verrät Hakenberg, „andere auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen.“ Diese Methode scheint vielen Menschen Freude zu bereiten, allen voran Politikerinnen und Politikern. Und sie geht Hand in Hand mit einer anderen Methode, die ebenfalls nicht auf direktem Wege zur Weltverbesserung beiträgt: der kognitiven Verzerrung. Die lässt das eigene Verhalten sehr viel nachhaltiger erscheinen, als es tatsächlich ist, wenn man beispielsweise den eigenen SUV kleinredet, indem man auf das wesentlich größere Modell der Nachbarin hinweist. Oder, wie es ein Oppositionsführer gern tut, sich dem höheren Mittelstand zuzurechnen und dabei den eigenen Kontostand und Immobilienbesitz kurz außer Acht zu lassen.

Dabei ist Sarah Hakenberg durchaus nachhaltig auf der Bühne unterwegs. Immerhin unterzieht sie bereits bewährte Songs aus früheren Programmen einem ressourcenschonenden Upcycling: beim Schreiben neuer Songs verbraucht sie 38 Tafeln Schokolade, mehrere Kilos Kaffee und eine ganze Menge Zalando-Retouren wegen Frustkäufen. Das fällt beim Überarbeiten älterer Lieder alles weg. „Weltflüchtlingstag“ beispielsweise ist, mit neuer Strophe aufpoliert, noch ganz gut einsetzbar - und wird auch so schnell nicht veralten.

Für die Politik hat sie auch ein paar nachhaltige Vorschläge parat: so lassen sich bekannte Werbeslogans, die längst im Hirn des Wahlvolks verankert sind, mit ein paar kleinen Änderungen gut für politische Zwecke einsetzen, beispielsweise bekommt der Spruch eines bekannten schwedischen Möbelhauses: „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ angesichts der Wohnungsnot im Lande eine ganz andere Bedeutung, wenn man ihn in Zusammenhang mit Frischluft-Hymnen und dem Verzicht auf ein Dach überm Kopf als Chance betrachtet.

Was Sarah Hakenberg, neben frechen Vorschlägen für eine bessere Welt und dem OIn-eine-andere-Richtung-schauen beim Klavierspielen wirklich ganz phantastisch beherrscht, ist ihre Bühnenpräsenz: mit charmantestem Lächeln und größtmöglichem Liebreiz gibt sie die gemeinsten Bosheiten von sich und erntet dennoch - oder eben gerade darum - frenetische Zustimmung. Das ist nicht nur bei der vom Publikum ausdrücklich gewünschten Zugabe „Hündchen lynchen in München“ so, das zieht sich durchs ganze Programm. „Mut zur Tücke“ - den beweist sie tatsächlich. Und man muss ihr ausdrücklich dazu gratulieren.

Sabine Zaplin, 27.04.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.