Nach(t)kritik
Wenn ich ein Vöglein wär...
Veranstaltung: Sonja Pikart: Ein Spatz, ein Wunsch, ein VolksaufstandWas alles begrenzt unsere Freiheit, und welchen dieser Einschränkungen unterwerfen wir uns tagtäglich freiwillig? Dieser Frage geht Sonja Pikart in ihrem Kabarettprogramm nach, indem sie anhand von privaten Geschichten und gesellschaftlichen Beobachtungen unser Verhältnis zu einer immer mehr von Vorschriften, AGBs und, am allerschlimmsten, Empfehlungen gezeichneten Welt untersucht. Rahmengebend dafür ist das Bild eines in einem Vogelkäfig eingeschlossenen Spatzes, welcher Tourist:innen für den symbolischen Akt des Freilassens verkauft wird, ehe er wieder eingefangen und erneut zum Verkauf angeboten wird.
Die Grenzen der Freiheit sind vielfältig. Natürlich gibt es familiäre Einschränkungen in der Eigenständigkeit, wenn man beispielsweise den von den Eltern vermachten Kronleuchter in der Neubauwohnung anbringen muss, er sei ja schließlich ein Familienerbstück und müsse in der Küche hängen, auch wenn er dies nun lediglich einen Meter über dem Boden tut. Innerhalb anderer Einschränkungen lassen sich dagegen neue Freiheiten finden und Wespenhonig wird vegan, denn ‚es ist vegan, solange einem das Tier unsympathisch ist‘.
Nicht als Aneinanderreihung verschiedenster Anekdoten, wie sonst oft im Kabarett üblich, sondern in voneinander getrennten, eigenständigen Nummern spannt Sonja Pikart einen großen Bogen über den ganzen Abend, der am Ende zum Kampf für die Freiheit durch die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen und dem Hinterfragen politischer Gegebenheiten aufruft. Dabei treffen sich in einer klugen Nummer in überspitzt karikierter Darstellung eine rechte Kommunalpolitikerin und eine grüne Hippiefrau bei einem Töpferworkshop auf einer Esoterikmesse, wo sie sich nach anfänglicher Befeindungen doch viel näher kommen, als je gedacht oder gewollt. Einen weiteren brillanten Moment des Abends stellt der pointierte Briefwechsel mit einer Hausverwaltung dar, indem eine gerechtfertigte Beschwerde der Mieterin in einer Räumungsklage endet; ein kluger Abgesang auf ein durch Bürokratie gestärktes Machtungleichgewicht im Mietwesen.
Leider trifft Sonja Pikart an diesem Abend nicht auf ihre Zielgruppe, neben vereinzelten Lachern und Szenenapplaus bleibt doch ein großer Teil des Publikums still, nach der Pause fehlen einige von ihnen. Und auch, wenn die zweite Hälfte nochmal richtig Fahrt aufnimmt, so bleiben am Schluss doch eher verhaltene Reaktionen. Vielleicht liegt dies auch daran, dass in den vielen verschiedenen ausgespielten Rollen die Grenze zwischen Kabarettistin und Kunstfigur verschwimmt und der ironische Ton als solcher nicht mehr eindeutig greifbar ist; vielleicht hätten auch einige Stellen noch böser und bissiger sein müssen.
Am Ende bleibt dennoch ein innovatives Programm, das es sich nicht mit leicht gemachten Pointen und billigen Punchlines einfach macht, sondern treffende Beobachtungen in klug geschriebene Szenen einbettet und diese in den Gesamtkontext des Themas des Abends stellt, was einen ganzheitlichen Bogen schafft. Am kommenden Dienstag erhält Sonja Pikart den österreichischen Kabarettpreis und es bleibt zu hoffen, dass sie mit einem neuen Programm nach Gauting zurückkehrt und ihr Publikum findet.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.